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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

DOI Kapitel:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Sinning, Irmgard: Antrittsrede vom 29. Oktober 2016
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0306
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Antrittsrede von Irmgard Sinning

ren Gruppen gebildet, wobei nicht nur unterschiedlichste biologische Fragestel-
lungen bearbeitet wurden, sondern auch die Methodenentwicklung eine zentrale
Rolle spielte. Dort konnte ich mehrere Strukturen lösen, u. a. einer Glutathion-
transferase und einer Cellulase. Entscheidend für mich war es, das methodische
Rüstzeug zu bekommen, das es mir ermöglichte danach, am EMBL in Heidelberg,
meine eigene Gruppe aufzubauen. In Deutschland gab es zu dieser Zeit an den
Universitäten und auch an MPIs praktische keine unabhängigen Nachwuchs-
gruppen, und es sollte noch Jahre dauern, bis sich diese Situation ändern würde.
Im Gegensatz zu Schweden waren bei meinem Start am EMBL unter den etwa
50 Gruppenleitern nur zwei Frauen - mit mir dann drei. Mir war dieser Umstand
nicht wichtig genug, um darüber nachzudenken. Bei vielen Sitzungen in verschie-
denen Gremien war ich damals und auch noch Jahre später die einzige Frau. Eine
Situation, mit der ich ja schon in meiner Kindheit (Buben aus der Nachbarschaft)
vertraut war.
Am EMBL begann ich, mich für die Biogenese von Membranproteinen zu in-
teressieren, und besonders für die Struktur und Funktion molekularer Maschinen
im Proteintransport. Dieses spannende Thema beschäftigt meine Abteilung noch
heute. Wie wird in der Zelle sichergestellt, dass Membranproteine und sekreto-
rische Proteine ihren Bestimmungsort mit hoher Präzision erreichen? Sie tragen
einen Transportcode (die Signalsequenz), der von einem spezialisierten, univer-
sell konservierten Transportsystem erkannt wird. Dieses Transportsystem, der
Signalerkennungspartikel (oder SRP), ist ein Komplex aus Proteinen und RNA,
und wird durch spezifische, kleine G-Proteine reguliert. Das SRP bindet bereits
während der Entstehung des Zielproteins an den Ribosomen und leitet dieses zu
einem Rezeptor an der Membran, in der sich schließlich eine Proteinpore öffnet
(das Translocon), durch die das Protein hindurch gefädelt bzw. in die Membran
eingefädelt wird. Das Verständnis dieses Prozesses ist von zentraler Bedeutung,
denn nur am richtigen Ort und zur richtigen Zeit kann ein Protein seine biologi-
sche Funktion ausüben.
Damals waren zwar schon einzelne Komponenten des SRP Systems bekannt,
aber ihre Wechselwirkungen waren noch nicht erforscht und es war noch keine
einzige Proteinstruktur bekannt. Also eine ideale Ausgangssituation - dachte ich.
Wie sich herausstellte, war die Situation wesentlich kompetitiver als erwartet. Wir
haben die erste Kristallstruktur einer SRP Komponente, den Rezeptor aus E. coli,
bestimmt, und konnten durch die Kombination von Strukturbiologie mit Biophy-
sik immer wieder entscheidende Beiträge zum Verständnis dieses Transportsys-
tems leisten. Es waren aufregende und arbeitsintensive, aber auch erfolgreiche
Jahre. Unterstützt wurde ich durch äußerst kompetente Kooperationspartner, die
oft zu Freunden wurden. Hier möchte ich Prof. Bernhard Dobberstein nennen,
der lange am ZMBH und vorher am EMBL forschte und mir ein väterlicher Be-
rater wurde.

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