Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

DOI Kapitel:
B. Die Mitglieder
DOI Kapitel:
II. Nachrufe
DOI Artikel:
Primavesi, Oliver: Albrecht Dihle: (28. 3. 1923 − 29. 1. 2020)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0092
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
B. Die Mitglieder

gefunden, geschweige denn in Drexler, sondern in dem katholischen Priester und
Theologen Alfons Maria Schneider (1896—1952),23 einem Mann von umfassender
theologischer, philologisch-historischer, orientalistischer und kunsthistorischer
Bildung, der seit 1939 an der Göttinger philosophischen Fakultät als Dozent für
Byzantinische und Frühislamische Architektur und Kunstgeschichte wirkte. Zwar
fehlte ihm jede Begabung zum Abhalten von Vorlesungen, so dass Dihle vom Be-
such einiger Vorlesungsstunden noch während der Kriegszeit zunächst enttäuscht
war. Doch im Spätsommer 1945, noch vor der Wiedereröffnung der Göttinger
Universität am 17. September, ließ Schneider sich dafür gewinnen, dem mit Dihle
befreundeten, damals gerade frisch promovierten Mittelalterhistoriker Reinhard
Elze (1922 — 2000) und Dihle selbst ein wöchentliches Privatissimum anzubieten,
das viele Jahre hindurch regelmäßig am Mittwochnachmittag stattfand, zunächst
für beide, seit Elzes 1950 erfolgtem Weggang nach Rom bis zum Tode Schneiders
1952 für Dihle allein. In dieser siebenjährigen Lehrzeit wurde Dihle von Schneider
in umfassender Weise, d. h. theologisch-philosophisch und sprachlich-literarisch
ebenso wie historisch und kunsthistorisch, in die Welt von Byzanz und des gan-
zen Ortens Christianus eingeführt.24 Im Hinblick auf Dihles spätere Leistungen als
eines der führenden deutschen Vertreter des Forschungsprogramms „Antike und
Christentum“ darf man wohl sagen, dass die Lehrzeit bei Alfons Maria Schnei-
der reiche Frucht getragen hat - ohne dass dabei das im engeren Sinne klassisch-
philologische Feld aus dem Blick geraten wäre: In seiner Dissertation („Beiträge
zur Entwicklungsgeschichte des Volksbegriffs im griechischen Denken“)25 führte
er anhand der Bedeutungsentwicklung einschlägiger griechischer Wörter - wie
demos, läos, phylon/phyle und der verschiedenen Ableitungen von der Wurzel gen-
- den Nachweis, dass etwas dem modernen Volksbegriff Entsprechendes in den
homerischen Epen, bei Hesiod und in der frühgriechischen Lyrik bis zu Pindar
nicht nachzuweisen ist,26 und dass erst in den Perserti des Aischylos die Wörter läos
und genna ausnahmsweise einmal dazu dienen, die Gesamtheit der Gegner, d. h.
der medischen bzw. persischen Untertanen des Großkönigs, zu einer „Schicksals-
gemeinschaft“ zusammenzufassen, insofern sie alle gemeinsam dessen verblende-
ten Invasionskrieg gegen Griechenland mitmachen27 und alle gemeinsam von den
schlimmen Folgen der katastrophalen Niederlage betroffen sind.28 Der Zeitraum

23 Das Folgende nach Dihle 2007 und Dihle, Ms. 2; bei Divergenzen in den Datierungen folgen
wir Dihle 2007.
24 Dihle 2005, 8.
25 Dihle 1946.
26 VgL z. B. Dihle 1946, 32: „So können wir feststellen, dass es keinen eigentlichen Volksbegriff
bei Homer gibt“, und ebenda 61: „Pindar steht auf diese Weise dem Volksbegriff im ganzen
sehr fern“.
27 Dihle 1946, 63-64.
28 Dihle 1946, 74.

92
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften