Einleitung des Herausgebers
XLIX
Ausgreifen der technischen Denkungsart auf die Bildung für ihn nichts weniger als
den Ausdruck eines verhängnisvollen Missverständnisses der freien Welt in Bezug auf
die Bewahrung ihrer eigenen Freiheit dar. So schreibt Jaspers in Fortsetzung des oben
Zitierten: »Dann würde am Ende die Selbstbehauptung der freien Welt nicht mehr et-
was verteidigen, was sich lohnt, nämlich nicht mehr die Freiheit, sondern die Appa-
ratur. Ein Kampf der Selbstbehauptung würde sinnlos. Denn man würde selber zu dem,
was man bekämpfen wollte, wäre im Kampf mit dem Drachen selber zum Drachen
geworden.«223 Das Schicksal der Universität steht für Jaspers insofern sinnbildlich für
das Schicksal der freien Welt: Wo die Universität als Ort der freien Wahrheitsfor-
schung, der Kritik und geistigen Kommunikation nicht mehr im Sinne einer Selbstbe-
grenzung der Staatsmacht von dieser erwünscht und ihrer Autonomie überlassen wird,
da sind auch alle anderen Bereiche, in denen Freiheit sich bewährt,224 ist schließlich
auch die freie, kritische Öffentlichkeit als Lebensader der Demokratie bedroht.
ii. Die Idee der Universität 1961
Die zwischen 1945 und 1960 in den oben besprochenen Vorträgen und Aufsätzen ar-
tikulierten Positionen sind mit wenigen Akzentverschiebungen in Jaspers’ Konzep-
tion und Ausarbeitung der dritten Fassung seiner Idee der Universität eingeflossen. Zwar
bleibt auch in dieser Ausgabe der meuhumanistische Kern< mit den Forderungen nach
der Einheit der Wissenschaften, dem Erhalt der Verbindung von Forschung und Lehre
sowie der akademischen Freiheit erhalten - ebenso die Orientierung am Maßstab der
Geistesaristokratie und die Forderung nach der Unabhängigkeit der Wissenschaft von
staatlichen Eingriffen. Die sinngebende Achse aber, um die Jaspers diese Forderungen
gruppiert, ist hier viel stärker noch als in seiner Schrift von 1946 die im einzelnen Indi-
viduum situierte existentielle Dimension, die sich einerseits im Drang des »ursprüng-
lichen Wissenwollens« und andererseits im »Entschluß« als der inneren Bejahung die-
ses Dranges zeigt. Diese existenzphilosophische Akzentuierung der Universitätsidee
verknüpft Jaspers 1961 mit seiner inzwischen entwickelten vernunftphilosophischen
Position.225 Der Brückenschlag erfolgt dadurch, dass sich Vernunft und Existenz seiner
Vorstellung nach im kommunikativen Ringen um Wahrheit in der Wissenschaft tref-
fen und durch Wahrhaftigkeit, vernunftgeleitete Wahrheitssuche und Freiheitsstre-
ben im öffentlichen Leben die Grundbedingungen einer freiheitlichen Gesellschafts-
223 »Das Doppelgesicht der Universitätsreform«, in diesem Band, 248.
224 Zur »Freiheit selber« zählt Jaspers »die Wahrheit, die Universitäten als Stätten freier Forschung,
die ins Neue vorstoßende Kunst und Literatur, alles Versuchende, im Wettkampf des Geistes zur
Reife Gelangende, von niemandem Geführte des freien Menschenwesens selber« (»Im Kampf mit
dem Totalitarismus«, 36).
225 Jaspers wollte seine Philosophie seit 1950 explizit als »Philosophie der Vernunft« verstanden wis-
sen (vgl. Vernunft und Widervernunft in unserer Zeit [1950], 50).
XLIX
Ausgreifen der technischen Denkungsart auf die Bildung für ihn nichts weniger als
den Ausdruck eines verhängnisvollen Missverständnisses der freien Welt in Bezug auf
die Bewahrung ihrer eigenen Freiheit dar. So schreibt Jaspers in Fortsetzung des oben
Zitierten: »Dann würde am Ende die Selbstbehauptung der freien Welt nicht mehr et-
was verteidigen, was sich lohnt, nämlich nicht mehr die Freiheit, sondern die Appa-
ratur. Ein Kampf der Selbstbehauptung würde sinnlos. Denn man würde selber zu dem,
was man bekämpfen wollte, wäre im Kampf mit dem Drachen selber zum Drachen
geworden.«223 Das Schicksal der Universität steht für Jaspers insofern sinnbildlich für
das Schicksal der freien Welt: Wo die Universität als Ort der freien Wahrheitsfor-
schung, der Kritik und geistigen Kommunikation nicht mehr im Sinne einer Selbstbe-
grenzung der Staatsmacht von dieser erwünscht und ihrer Autonomie überlassen wird,
da sind auch alle anderen Bereiche, in denen Freiheit sich bewährt,224 ist schließlich
auch die freie, kritische Öffentlichkeit als Lebensader der Demokratie bedroht.
ii. Die Idee der Universität 1961
Die zwischen 1945 und 1960 in den oben besprochenen Vorträgen und Aufsätzen ar-
tikulierten Positionen sind mit wenigen Akzentverschiebungen in Jaspers’ Konzep-
tion und Ausarbeitung der dritten Fassung seiner Idee der Universität eingeflossen. Zwar
bleibt auch in dieser Ausgabe der meuhumanistische Kern< mit den Forderungen nach
der Einheit der Wissenschaften, dem Erhalt der Verbindung von Forschung und Lehre
sowie der akademischen Freiheit erhalten - ebenso die Orientierung am Maßstab der
Geistesaristokratie und die Forderung nach der Unabhängigkeit der Wissenschaft von
staatlichen Eingriffen. Die sinngebende Achse aber, um die Jaspers diese Forderungen
gruppiert, ist hier viel stärker noch als in seiner Schrift von 1946 die im einzelnen Indi-
viduum situierte existentielle Dimension, die sich einerseits im Drang des »ursprüng-
lichen Wissenwollens« und andererseits im »Entschluß« als der inneren Bejahung die-
ses Dranges zeigt. Diese existenzphilosophische Akzentuierung der Universitätsidee
verknüpft Jaspers 1961 mit seiner inzwischen entwickelten vernunftphilosophischen
Position.225 Der Brückenschlag erfolgt dadurch, dass sich Vernunft und Existenz seiner
Vorstellung nach im kommunikativen Ringen um Wahrheit in der Wissenschaft tref-
fen und durch Wahrhaftigkeit, vernunftgeleitete Wahrheitssuche und Freiheitsstre-
ben im öffentlichen Leben die Grundbedingungen einer freiheitlichen Gesellschafts-
223 »Das Doppelgesicht der Universitätsreform«, in diesem Band, 248.
224 Zur »Freiheit selber« zählt Jaspers »die Wahrheit, die Universitäten als Stätten freier Forschung,
die ins Neue vorstoßende Kunst und Literatur, alles Versuchende, im Wettkampf des Geistes zur
Reife Gelangende, von niemandem Geführte des freien Menschenwesens selber« (»Im Kampf mit
dem Totalitarismus«, 36).
225 Jaspers wollte seine Philosophie seit 1950 explizit als »Philosophie der Vernunft« verstanden wis-
sen (vgl. Vernunft und Widervernunft in unserer Zeit [1950], 50).