Die Idee der Universität [1923]
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Dieses Absolute ist entweder universalistisch: der Stand, für den man erzogen wird,
oder der Staat, oder eine Religion in Gestalt der Kirche; oder es ist individualistisch:
Wahrhaftigkeit, Selbständigkeit, Verantwortung, Freiheit; oder es ist Synthese beider.
In dem Maße, als die Substanz fraglich, das Pathos unecht wird, formuliert sich die
Erziehung. Die Ehrfurcht wird künstlich und illegitim hochgehalten durch bewußtes
Geheimnis als Mittel der Oberen, durch Forderung persönlicher Autorität und blin-
den Gehorsams, durch Weckung der im Menschen liegenden Lust am bloßen Gehor-
sam, an Unterwerfung und Versklavung. Statt einer disziplinierten Übung und Arbeit
für die Substanz bleibt leere »Pflichterfüllung«. Statt des Agons um die besten Leistun-
gen entsteht der eitle Ehrgeiz, der in der Anerkennung und Zensierung das Endziel
sieht. An Stelle des Hineinwachsens in ein substantielles Ganzes tritt bloßes Lernen
von Dingen, die nützlich sind oder sein können. Statt bejahter Bildung unter einem
Ideal bleibt der Erwerb von schnell wieder zu vergessenden und gleichgültigen Kennt-
nissen für ein Examen, durch welches Bildung bescheinigt wird.
Alle bewußte Erziehung kann die Mittel suchen und finden; kann die Didaktik ver-
bessern. Aber sie setzt Weltanschauung und Substanz voraus. Ohne Glauben gibt es
keine echte Erziehung, sondern bloße Unterrichtstechnik.
Wenn die Substanz fraglich geworden, der Glauben unbestimmt ist, so fragt man
bewußt nach den Erziehungszielen. Solche kann | man nicht machen, aber man kann 23
auf sie reflektieren. Man kann dann in Antinomien formulieren: der Zweck der Erzie-
hung seien die Menschen als solche oder als Werkzeug für ein Ganzes, sei die Masse
der Individuen in ihrem Bildungsniveau oder sei die Existenz des Geistes ohne Rück-
sicht auf das Schicksal der Menge und des Einzelnen, sei die Masse des Durchschnitts
oder die große Persönlichkeit usw. Daß solche Antinomien letzthin unlösbar, daß alle
Wirklichkeit Synthese oder Kompromiß ist, daß sie oft die eine Seite des Gegensatz-
paares ganz ignoriert, und daß eine Entscheidung aus irgendeiner Theorie ganz un-
möglich ist, liegt auf der Hand. Das Suchen nach dem Erziehungsziel ist hoffnungslos,
wenn es etwas anderes ist als das Sichbewußtmachen der gegenwärtigen Substanz, des
eigenen unklaren Willens, wenn man es von außen zu finden sucht, statt aus eigenem
Dasein es sich offenbar zu machen. Daher die geringe Bedeutung der massenhaften
Schlagworte von Erziehungszielen, die man hören kann: Ausbildung der besonderen
Eignung, Ertüchtigung, Weltorientierung, Charakterbildung, Nationalbewußtsein,
Kraft und Selbständigkeit, Ausdrucksfähigkeit, Bildung der Persönlichkeit, Schaffung
eines alle verbindenden gemeinsamen Kulturbewußtseins usw.
§ 3. Begabung und Auslese
Alle Erziehung will den Menschen prägen. Sie setzt voraus, daß der Mensch prägbar,
bildbar sei. Aber sowie sie von theoretischen Utopien in die Wirklichkeit tritt, muß sie
mit der Realität der menschlichen Veranlagungen rechnen.
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Dieses Absolute ist entweder universalistisch: der Stand, für den man erzogen wird,
oder der Staat, oder eine Religion in Gestalt der Kirche; oder es ist individualistisch:
Wahrhaftigkeit, Selbständigkeit, Verantwortung, Freiheit; oder es ist Synthese beider.
In dem Maße, als die Substanz fraglich, das Pathos unecht wird, formuliert sich die
Erziehung. Die Ehrfurcht wird künstlich und illegitim hochgehalten durch bewußtes
Geheimnis als Mittel der Oberen, durch Forderung persönlicher Autorität und blin-
den Gehorsams, durch Weckung der im Menschen liegenden Lust am bloßen Gehor-
sam, an Unterwerfung und Versklavung. Statt einer disziplinierten Übung und Arbeit
für die Substanz bleibt leere »Pflichterfüllung«. Statt des Agons um die besten Leistun-
gen entsteht der eitle Ehrgeiz, der in der Anerkennung und Zensierung das Endziel
sieht. An Stelle des Hineinwachsens in ein substantielles Ganzes tritt bloßes Lernen
von Dingen, die nützlich sind oder sein können. Statt bejahter Bildung unter einem
Ideal bleibt der Erwerb von schnell wieder zu vergessenden und gleichgültigen Kennt-
nissen für ein Examen, durch welches Bildung bescheinigt wird.
Alle bewußte Erziehung kann die Mittel suchen und finden; kann die Didaktik ver-
bessern. Aber sie setzt Weltanschauung und Substanz voraus. Ohne Glauben gibt es
keine echte Erziehung, sondern bloße Unterrichtstechnik.
Wenn die Substanz fraglich geworden, der Glauben unbestimmt ist, so fragt man
bewußt nach den Erziehungszielen. Solche kann | man nicht machen, aber man kann 23
auf sie reflektieren. Man kann dann in Antinomien formulieren: der Zweck der Erzie-
hung seien die Menschen als solche oder als Werkzeug für ein Ganzes, sei die Masse
der Individuen in ihrem Bildungsniveau oder sei die Existenz des Geistes ohne Rück-
sicht auf das Schicksal der Menge und des Einzelnen, sei die Masse des Durchschnitts
oder die große Persönlichkeit usw. Daß solche Antinomien letzthin unlösbar, daß alle
Wirklichkeit Synthese oder Kompromiß ist, daß sie oft die eine Seite des Gegensatz-
paares ganz ignoriert, und daß eine Entscheidung aus irgendeiner Theorie ganz un-
möglich ist, liegt auf der Hand. Das Suchen nach dem Erziehungsziel ist hoffnungslos,
wenn es etwas anderes ist als das Sichbewußtmachen der gegenwärtigen Substanz, des
eigenen unklaren Willens, wenn man es von außen zu finden sucht, statt aus eigenem
Dasein es sich offenbar zu machen. Daher die geringe Bedeutung der massenhaften
Schlagworte von Erziehungszielen, die man hören kann: Ausbildung der besonderen
Eignung, Ertüchtigung, Weltorientierung, Charakterbildung, Nationalbewußtsein,
Kraft und Selbständigkeit, Ausdrucksfähigkeit, Bildung der Persönlichkeit, Schaffung
eines alle verbindenden gemeinsamen Kulturbewußtseins usw.
§ 3. Begabung und Auslese
Alle Erziehung will den Menschen prägen. Sie setzt voraus, daß der Mensch prägbar,
bildbar sei. Aber sowie sie von theoretischen Utopien in die Wirklichkeit tritt, muß sie
mit der Realität der menschlichen Veranlagungen rechnen.