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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0097
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Die Idee der Universität [1923]

Es gibt nur kämpfende Liebe46 als Prozeß zwischen ihnen, nicht unterwerfendes, lie-
bend-verehrendes Anhängen. Der Lehrer weiß sich als Mensch und nicht als Gott, und
er fordert, daß der Schüler Mensch und Gott unterscheide').
Scholastische Erziehung und Meistererziehung haben gemeinsam eine praktische
Basis: Gehorsam der Autorität gegenüber. Es ist eine Erziehung durch Dienen; der Kir-
che und dem Kloster entspricht der Bund, der unpersönlichen Autorität entspricht der
persönliche Meister. Beide Typen finden sich zusammen, wenn innerhalb eines un-
persönlichen hierarchischen Systems einzelne Persönlichkeiten in den Vordergrund
treten, z.B. die Klostergründer und Ordensstifter, oder wenn der Inder seinem Guru
dient.
Scholastische und sokratische Erziehung haben gemeinsam eine intellektuelle Ba-
sis. Es besteht eine Schule. Statt Bund und Kloster besteht eine Gesellschaft der Dispu-
tierenden und Diskutierenden. Der Schüler ist intellektuell dem Lehrer gegenüber selb-
ständig, nur daß er im einen Fall einem Unendlichen, in persönlicher Selbsterfahrung
gesuchten Ganzen, im anderen Falle einem absoluten aber nicht überall endgültig fest-
gestellten System zugewandt ist.
Scholastische und Meistererziehung besitzen eine mehr oder weniger entwickelte
Lehre, ein plastisches, letzthin endliches Weltbild. In ihnen ist der Geist gefroren. Die
sokratische Erziehung setzt ein unendliches, fließendes Weltbild und lebendigen Geist
voraus und endet nicht mit Lehre und Spruch, sondern mit Paradoxien und dem Ver-
weis auf die absolute Innerlichkeit des Religiösen mit dem Wissen des Nichtwissens.
Jene haben ein »Mysterium«, diese haben »Glauben« im Sinne bewegten Geistes, kon-
kreter Verwirklichung, persönlicher Substanz, absoluten Ernstnehmens der realen ge-
genwärtigen Situation.
In jedem der drei Typen hat der Zögling Ehrfurcht. Diese findet ihren Gipfel bei der
22 scholastischen Erziehung in einer Tra| dition, die zugleich in einer hierarchischen Ord-
nung der Menschen leibhaft gegenwärtig ist; bei der Meistererziehung in der Persön-
lichkeit des Meisters; bei der sokratischen Erziehung in der Idee des unendlichen Gei-
stes, in dem es auf eigene Verantwortung zu existieren gilt (Ehrfurcht vor dem Anderen
und sich selbst als Träger des Geistes).
Ohne Ehrfurcht, ohne Respekt ist keine Erziehung möglich. Bestenfalls kann ein
betriebsames Lernen übrigbleiben, sonst eine erzwungene Abrichtung. Ehrfurcht ist
die Substanz aller Erziehung").47 Wo jede Art von Ehrfurcht entschwunden ist, hört die
Erziehung auf. Ohne das Pathos eines selbstverständlichen Absoluten kann der Jüng-
ling nicht existieren, es würde ohne das alles sinnlos sein.

i Untereinander höchst verschiedene Beispiele dieser Gesinnung sind Kierkegaard, Nietzsche
und Max Weber.
ü Vgl. Goethe in den Wander jähren.
 
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