Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0109
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
34

Die Idee der Universität [1923]

Die Kommunikation hat einen Unterbau in vitalen Beziehungen der Sexualität,
der Männerkameradschaft; sie besteht äußerlich, bewußt, unpersönlich im Verbände,
der einem Zweck, einem Nutzen dient; geistig besteht sie auf diesen Gründen als le-
bendige Beziehung des Einzelnen zum Einzelnen, als kämpfende Liebe, die im gren-
zenlosen gegenseitigen Rede- und Antwortstehen das Selbst im anderen Selbst offen-
bar werden läßt. Unter Aufhebung jeder Distanz - praktisch in vielen Stufen - stellen
wir uns gegenseitig in Frage, nicht um Macht des Einen über den Anderen zu gewin-
nen, sondern um durchsichtig und klar zu werden und die letzten Impulse des Willens
zum Bewußtsein zu erheben. Es ist ein Kampf im Verstehen, im Medium der unend-
lichen Reflexion, um ganz zu werden in einer übergreifenden Einheit mit dem Ande-
ren; nicht um zu zerstören, sondern um unter der Gefahr der Zerstörung zu den Wur-
zeln unseres Daseins zu kommen. Der Prozeß ist nie vollendet, die Einsamkeit ist nur
im Augenblick, nie im Wesen aufgehoben. Dieser Prozeß wird immerfort verwechselt:
mit dem Wirkenwollen auf andere, dem Erziehen, der Gewinnung von Überlegenheit.
Denn das Rationale, die Fülle des im Objektiven starr gewordenen Geistigen, kann als
Mittel benutzt werden, um Macht zu gewinnen. Oft haben Priester - in gutem Glau-
ben - den Menschen in Verzweiflung gebracht durch das Infragestellen in unendlicher
Reflexion, durch Weckung einer hoffnungslosen Skepsis, um ihm dann die Gnaden-
mittel einer Kirche anzubieten und ihn zu erlösen. In anderer Weise zerreibt der an
sich unbewußt verzweifelte ästhetische Reflexionsmensch in dialektischer Gewandt-
heit jeden, der ihm begegnet, um ihn dann allein zu lassen und für sich nur die Über-
legenheit und die Zerstörung zu genießen. Gegen diesen Mißbrauch der Reflexion gibt
es nur ein Mittel: selbst den objektiv gewordenen Geist, selbst die Welt der Reflexion
beherrschen zu lernen. Gar nicht hilft der Trotz des Sichzurückziehens, der auch dem
echten liebenden Kampf gegenüber die häufige beklagenswerte Reaktion ist. Ungei-
stig ist das Abbrechen der Kommunikation, die Behauptung: wir haben keinen gemein-
samen Boden. Das ist eine Selbstbewahrung im Partikularen, ein Ausweichen der Ge-
fahr, ein trotziges Pochen auf einen fixierten, unlebendigen Glauben.
38 | In der Sphäre der Wissenschaft besteht die Kommunikation als rationale Mittei-
lung und als Diskussion. Was wir gefunden haben, teilen wir mit, zeigen an, berichten
es. Der Prozeß der echten Kommunikation beginnt aber erst mit dem Infragestellen.
Dieses bewegt sich in fachmäßigen Einzelerörterungen auf gesichertem Boden, erst an
der Grenze wird es letztes Infragestellen, wird es philosophisch. Hier unterscheiden
wir zwei typische Gestalten:
1. In der Disputation werden feste Prinzipien vorausgesetzt. In formaler Weise wer-
den daraus Folgen abgeleitet und der Gegner mit dem Satze des Widerspruchs unter
Mitwirkung zahlloser Kniffe, die die logische Eristik62 seit dem Altertum bewußt ge-
macht hat, geschlagen. Einer siegt, die Stimmung der Disputation ist durchaus die Ein-
stellung: wer Recht behält. Das Ende ist bei diesem bloßen Machtkampf - der übrigens
in seinen Folgen für die formale Klarheit höchst nützlich sein kann, wenn er auch dem
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften