Die Idee der Universität [1923]
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2. Damit das Arbeiten nicht bloße Endlosigkeit werde, damit Sinn und Idee darin
sei, bedarf es eines durch guten Willen allein nicht Erwerbbaren. Ideen, selbst nicht
rational und nicht als richtig einsichtig, geben den Erkenntnissen erst ihre Wichtig-
keit, dem Forscher die treibende Kraft. Ideen wachsen und bewegen und sind nicht
willkürlich herbeizuzwingen, wachsen aber auch nur bei dem Menschen, der stetig ar-
beitet. »Einfälle« kommen unberechenbar. Das Irrationale, durch das und in dem das
Rationale allein gedeiht, die Sprünge des Geistes, alles dieses Nichtklare, Nichtmecha-
nischzumachende und nicht rational Durchschaubare bedarf der Pflege. Der geistige
Wissenschaftler gehört zu denen, die »immer daran denken«, die von ihrem Studium
ganz durchdrungen sind. Spezifisch ungeistig ist die Tren|nung von Arbeit und Amü- 57
sement. Das »Immerdarandenken« ist die Bedingung, daß Einfälle kommen, und auch
insbesondere, daß sie ernst genommen werden. Mancher hatte einen guten Gedan-
ken und hat ihn nichtachtend schnell vergessen.
3. Der Grundlage der Fleißarbeit und dem Leben des Ideellen gegenüber hat der
wissenschaftliche Mensch ein intellektuelles undgeistiges Gewissen. Überall sieht er, daß
er sich dem guten Glück, einem dunklen Instinkt anvertrauen muß, aber überall auch
will er, soweit ein redliches Bewußtsein reicht, Kontrolle und Herrschaft über seine Ar-
beit. Gegen das Gewissen ist ihm der endlose stupide Fleiß ohne Ziel, und gegen das
Gewissen ist ihm bloßes Gefühl und Glauben, bloße Stimmung und Erbauung, die sich
ihm nicht umsetzen in Gestalt und Tätigkeit. Das Zufällige und Isolierte sucht er im-
mer auf ein Ganzes zu beziehen, er erstrebt die Kontinuität, wehrt sich gegen willkür-
liches Abbrechen, und bricht doch ab, wenn sein Gewissen ihn zwingt, einem weiter-
führenden »Einfall« zu folgen, der nun seinerseits in intensiver Kontinuität verfolgt
wird. Häufiges Abbrechen und Neuanfangen erregt sein tiefstes Mißtrauen, ebenso
wie absolute regelmäßige Kontinuität des Fleißes. Weil er zu den tiefsten Gründen
der Ideen strebt und diese in seiner Arbeit zur Geltung kommen lassen will, ist er der
Mode und dem bloß Aktuellen wenig zugänglich, aber der Gegenwart, dem Augenblick
als dem leibhaftigen Dasein des Ewigen aufgeschlossen. Er vermag sich einzuspinnen
und er weiß, daß niemand von außen beurteilen kann, ob er recht handelt. Sein gei-
stiges Gewissen entscheidet und kann durch keinen Rat von außen erleichtert werden.
Die aus diesen drei Momenten bestehende geistige Arbeit soll an der Universität
gedeihen. Der Unterricht soll ihr dienen, durch positive und negative Eigenschaften
seiner Form. Der äußeren Form nach haben wir Vorlesungen, Übungen, Diskussionen in
kleinen Kreisen, die für eine begrenzte Anzahl privatissime stattfinden, und Diskus-
sionen zu zweien. In den Vorlesungen wird lernbares Wissen so vorgetragen, daß die
Methoden seines Erwerbs und seiner Begründung dem Hörer lebendig gegenwärtig
werden. Bloße Ergebnisse stehen in den Büchern. Der Hörer macht sich Notizen, hat
die Aufgabe, über das Vorgetragene nachzudenken, durch Bücherstudium oder prak-
tische Erfahrungen sich zu den Vorlesungen vorzubereiten und das Gelernte zu erwei-
tern. | In den Übungen werden die Methoden im praktischen Umgang mit dem Stoff, 5#
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2. Damit das Arbeiten nicht bloße Endlosigkeit werde, damit Sinn und Idee darin
sei, bedarf es eines durch guten Willen allein nicht Erwerbbaren. Ideen, selbst nicht
rational und nicht als richtig einsichtig, geben den Erkenntnissen erst ihre Wichtig-
keit, dem Forscher die treibende Kraft. Ideen wachsen und bewegen und sind nicht
willkürlich herbeizuzwingen, wachsen aber auch nur bei dem Menschen, der stetig ar-
beitet. »Einfälle« kommen unberechenbar. Das Irrationale, durch das und in dem das
Rationale allein gedeiht, die Sprünge des Geistes, alles dieses Nichtklare, Nichtmecha-
nischzumachende und nicht rational Durchschaubare bedarf der Pflege. Der geistige
Wissenschaftler gehört zu denen, die »immer daran denken«, die von ihrem Studium
ganz durchdrungen sind. Spezifisch ungeistig ist die Tren|nung von Arbeit und Amü- 57
sement. Das »Immerdarandenken« ist die Bedingung, daß Einfälle kommen, und auch
insbesondere, daß sie ernst genommen werden. Mancher hatte einen guten Gedan-
ken und hat ihn nichtachtend schnell vergessen.
3. Der Grundlage der Fleißarbeit und dem Leben des Ideellen gegenüber hat der
wissenschaftliche Mensch ein intellektuelles undgeistiges Gewissen. Überall sieht er, daß
er sich dem guten Glück, einem dunklen Instinkt anvertrauen muß, aber überall auch
will er, soweit ein redliches Bewußtsein reicht, Kontrolle und Herrschaft über seine Ar-
beit. Gegen das Gewissen ist ihm der endlose stupide Fleiß ohne Ziel, und gegen das
Gewissen ist ihm bloßes Gefühl und Glauben, bloße Stimmung und Erbauung, die sich
ihm nicht umsetzen in Gestalt und Tätigkeit. Das Zufällige und Isolierte sucht er im-
mer auf ein Ganzes zu beziehen, er erstrebt die Kontinuität, wehrt sich gegen willkür-
liches Abbrechen, und bricht doch ab, wenn sein Gewissen ihn zwingt, einem weiter-
führenden »Einfall« zu folgen, der nun seinerseits in intensiver Kontinuität verfolgt
wird. Häufiges Abbrechen und Neuanfangen erregt sein tiefstes Mißtrauen, ebenso
wie absolute regelmäßige Kontinuität des Fleißes. Weil er zu den tiefsten Gründen
der Ideen strebt und diese in seiner Arbeit zur Geltung kommen lassen will, ist er der
Mode und dem bloß Aktuellen wenig zugänglich, aber der Gegenwart, dem Augenblick
als dem leibhaftigen Dasein des Ewigen aufgeschlossen. Er vermag sich einzuspinnen
und er weiß, daß niemand von außen beurteilen kann, ob er recht handelt. Sein gei-
stiges Gewissen entscheidet und kann durch keinen Rat von außen erleichtert werden.
Die aus diesen drei Momenten bestehende geistige Arbeit soll an der Universität
gedeihen. Der Unterricht soll ihr dienen, durch positive und negative Eigenschaften
seiner Form. Der äußeren Form nach haben wir Vorlesungen, Übungen, Diskussionen in
kleinen Kreisen, die für eine begrenzte Anzahl privatissime stattfinden, und Diskus-
sionen zu zweien. In den Vorlesungen wird lernbares Wissen so vorgetragen, daß die
Methoden seines Erwerbs und seiner Begründung dem Hörer lebendig gegenwärtig
werden. Bloße Ergebnisse stehen in den Büchern. Der Hörer macht sich Notizen, hat
die Aufgabe, über das Vorgetragene nachzudenken, durch Bücherstudium oder prak-
tische Erfahrungen sich zu den Vorlesungen vorzubereiten und das Gelernte zu erwei-
tern. | In den Übungen werden die Methoden im praktischen Umgang mit dem Stoff, 5#