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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0145
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... könnte wieder eine Rangordnung im geistigen Leben fühlbar werden

als vor hundert Jahren, ist keineswegs nur ein Fortschritt; Vorlesungen sind nicht dazu
da, die trefflichen Lehrbücher zu ersetzen. Es wäre aber sinnvoll, sogar in einstmals
hervorragenden Fächern, die nur noch als Lehre, nicht mehr als lebendige Forschung
da sind, mangels eines eigenständigen Mannes von geistigem Rang die Lehre zunächst
durch Lektorate versehen zu lassen. Wissenschaftliche Hilfsarbeiter haben, wenn ein-
geordnet in die eigentliche Lehre der Forscher, durchaus ihren Sinn und Wert.
4. Statt der Spaltung der Universität, welche eine Bejahung und Beschleunigung ih-
res Verfalls wäre, ist eine Verstärkung des eigentlichen Anspruchs zu wünschen. Eine Mög-
lichkeit neben anderen wäre folgende: man hebe eine einzige Universität, die etwa
Reichsuniversität119 werden müßte, heraus und lasse in ihr nur Aufnahme finden, wer
das Abiturium des humanistischen Gymnasiums besitzt. Als Versuch angesehen,
würde diese Besonderung einer Universität wahrscheinlich in 10 und 20 Jahren zei-
gen, daß hier eine Elite von Ärzten, Lehrern, Juristen usw. herangewachsen wäre, die
der Ausgang für weitere Niveauerhöhung werden könnte. Doch nur von außen sieht
wie ein Versuch aus, was in Wirklichkeit nur aus einem Glauben der Studenten und
Dozenten geschehen kann, die daran teilnehmen.
Es könnte wieder eine Rangordnung im geistigen Leben fühlbar werden, welche das
innere Handeln120 des Menschen zum Aufschwung bringt. Im Geistigen steht uns ein
Zeitalter der Restauration bevor, falls wir nicht ganz versinken. Die Begeisterung für ein
dunkles Neues ist unfruchtbar, solange sie nicht auf dem Grunde dessen steht, was
diese Restauration bewahren muß.
5. Zu bekämpfen sind alle Tendenzen, die Durchschnittlichkeit der Mehrheit geistig da-
durch zu versorgen, daß man ihnen den selbst zu wählenden geistigen Weg durch
schulmäßigen Betrieb abnimmt,121 oder daß man durch Aktualisierung der Dinge in-
teressant macht, was sein wahres Interesse als Sache hat. Diese Tendenzen bringen
Wissen als bloße Fassade hervor und verführen zu Gerede; sie lenken ab von der mög-
lichen Leidenschaft des ursprünglichen Wissenwollens, ohne welche kein Studium
gerechtfertigt ist.
Die Frage der Reform wird unter dem Zwange stehen: wo kann gespart werden?
Wenn gespart werden muß, ist zu sehen, wo es vorteilhaft möglich ist. Zum Beispiel
könnte die Abschaffung aller allgemeinen Erleichterungen des Lebens an der Universi-
tät durch so viel materielle Hilfe, daß das Studieren die billigste Lebensform geworden
ist, die Überfüllung steuern. Eine Vermehrung der langfristigen Stipendien dagegen
für hervorragende, sorgfältig erlesene Individuen wäre sinnvoll und wünschenswert.
6. Gegenüber dem selbstverständlichen Hinweis, daß die Universität in politischen
Zusammenhängen stehe, fragen wir uns: Wo ist der verläßliche Staatswille, der den
freien Raum der Forschenden und Studierenden sichert, daß sich die geistigen Mög-
lichkeiten zeigen? Dieser Staatswille allein könnte etwas verwirklichen wie jene Wie-
derherstellung einheitlicher humanistischer Vorbildung, die heute noch weltfremd wie
eine unmögliche Forderung anmutet, obgleich ihre Durchführung kein Geld kostet.
 
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