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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0149
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Erneuerung der Universität

derungen, Deportationen und Ermordungen unserer jüdischen Freunde und Mitbür-
ger, als zu unserer untilgbaren Schmach und Schande 1938 in ganz Deutschland die
Synagogen - Gotteshäuser - brannten.129 Wir konnten den Tod suchen, als im Kriege
das Regime von Anfang an gegen den Satz unseres größten Philosophen, Kant, han-
delte, der als Bedingung des Völkerrechts forderte: Es dürfen im Kriege keine Handlun-
gen geschehen, die eine spätere Versöhnung der Kriegführenden schlechthin unmög-
lich machen.130 Tausende haben in Deutschland im Widerstand gegen das Regime den
Tod gesucht oder doch gefunden, die meisten anonym. Wir Überlebenden haben nicht
den Tod gesucht. Wir sind nicht, als unsere jüdischen Freunde abgeführt wurden, auf
die Straße gegangen, haben nicht geschrien, bis man auch uns vernichtete. Wir haben
es vorgezogen, am Leben zu bleiben, mit dem schwachen, wenn auch richtigen Grund,
unser Tod hätte doch nichts helfen können.
Daß wir leben, ist unsere Schuld.
Wir wissen vor Gott, was uns tief demütigt.
Mit uns ist durch die zwölf Jahre etwas geschehen, was wie eine Umschmelzung unse-
res Wesens ist. Mythisch gesprochen: Die Teufel haben auf uns eingehauen und haben
uns mitgerissen in eine Verwirrung, daß uns Sehen und Hören verging. Wir haben
Blicke in die Realität von Welt und Menschen und uns selbst getan, die wir nicht ver-
gessen. Was daraus in unserem Denken wird, ist unabsehbar. Daß wir bis jetzt überle-
ben, ist wie ein Wunder. Aber darüber hinaus ist, daß wir leben, unser eigener Ent-
schluß.131 Er fordert, die Folgen eines Daseins unter solchen Bedingungen auf uns zu
nehmen. Unsere in dieser Würdelosigkeit einzig noch bleibende Würde ist die Wahr-
haftigkeit und dann die unendlich geduldige Arbeit trotz aller Hemmungen, trotz al-
lem Mißlingen - solange es uns vergönnt ist. Wir wollen uns unser Leben, das uns ge-
rettet wurde, verdienen.
Wir müssen Abstand nehmen von einer Vergangenheit um uns und in uns. Aber
wir suchen nicht Vergeltung, wenn jetzt das Notwendige geschieht und unser Einver-
11 ständnis fordert. Die Kette des Bösen muß einmal abreißen. Wir wollen nicht aus | dem
Nein zum Schlechten, sondern aus dem Ja zum Guten leben, aus der Tiefe unserer ei-
gentlichen Vergangenheit, die uns trägt. Treu sind wir unseren Eltern, unserer Heimat,
treu unserem Vaterlande, das wir sehen in Kant und Goethe und Lessing und den an-
deren hohen Gestalten - in allem, was bei uns Adel hatte im Gehorsam gegen die ewi-
gen sittlichen Forderungen - in unserer deutschen Sprache - in unseren Wäldern, Ber-
gen, Strömen und unserem Meer.
In solcher Lage als so gewordene Menschen sollen wir nun die Universität wieder-
aufbauen. Was das Äußere betrifft, so haben wir die Hoffnung, daß unsere alte Verfas-
sung und Selbstverwaltung uns wieder bestätigt wird, daß Kliniken, Institute, Semi-
nare materiell bestehen, daß die Studenten leben können, daß die Bedingungen für
 
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