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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0175
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IOO

Vom lebendigen Geist der Universität

der Verwirklichung durch das Konkrete und Bestimmte hindurch, der Konzentration
auf das Eine in der grenzenlosen Weite des Umgreifenden.181
Die an uns gestellten Ansprüche sind fast unerfüllbar. Das unterscheidet die Hoch-
schule von der Schule: dieses Bewußtsein des Ungenügens aller, diese Last für jeden Ein-
zelnen, seine Aufgabe frei zu wählen, diese Ablehnung fester Lehrpläne, die nur in den
unteren Bereichen des auch an der Universität unerläßlichen Schulbetriebs gelten. Der
Student wird als reif behandelt. Er hat auf eigene Verantwortung seinen Weg zu suchen.
Bei aller Distanz vom Alter nimmt er doch schon teil am gemeinsamen Forschen. Wir be-
gegnen Ihnen daher grundsätzlich auf gleicher Ebene, treten Ihnen »al pari« gegenüber.
Denken wir an die Idee des lebendigen Geistes, so kann uns der Zweifel befallen. Die
213 Realität der Universität liegt allzu weit ab vom Ideal. Wir als Lehrer, Sie als Studenten
versagen nur zu häufig. Aber daß wir es erkennen, kann uns zum Aufschwung brin-
gen. Nur wer sein Versagen nicht mehr spürt, ist kein Glied in der Bewegung des leben-
digen Geistes.
Aber der Typus des ständig empörten Literaten ist steril. Der Zweifelnde muß, da-
mit es besser werde, nicht so sehr auf die anderen schelten als an sich selber arbeiten.
Dabei vermag er Zuversicht zu gewinnen aus der in ihm fortlebenden Substanz der
Jahrhunderte. Auch der Student.
Als ich vor 44 Jahren in meinem ersten Semester diese Räume in diesem Gebäude
betrat, mit dem Schauer der Ehrfurcht vor der Überlieferung, da hörte ich Kuno Fi-
scher,182 Thode,183 Jellinek,184 Kraepelin.185 Im Übermut der Jugend hatte ich an jedem
etwas Wesentliches auszusetzen, mit dem Scharfblick der Jugend vielleicht nicht im-
mer ganz zu Unrecht, aber ich war zugleich ergriffen von dem, was sie zu sagen hatten
und was mir ohne sie nie aufgegangen wäre. Ich denke mit Dankbarkeit an jene Zeit
und an meine Lehrer hier und an anderen Universitäten. Auch im Abstoß der Kritik
legte sich der Grund des Erkennens.
Mögen Sie es wieder so machen, uns radikal kritisieren, wenn nur der Sinn ist, daß
Sie aus der Wurzel der Universitätsidee, dem lebendigen Geiste denken, und daß Sie es
besser machen, und sogleich anfangen durch die unermüdliche Arbeit am Aufbau Ih-
res geistigen Könnens. Mögen Sie uns verwerfen, die wir noch versuchen, den Faden
der Überlieferung nicht abreißen zu lassen, wenn Sie nur dadurch den Weg finden, tie-
fer diese Überlieferung zu ergreifen.
Der lebendige Geist ist keine Gegebenheit der Natur, sondern ein Geschenk für die,
214 die sich ihm offenhalten. Die Arbeit des Kopfes, der Selbstkritik, des Verstehens | von
allem, was Menschen hervorgebracht haben und was sie vermochten, geht doch am
Ende darauf aus, diesem ursprünglichen Leben in uns Raum zu geben, damit wir ei-
gentliche Menschen werden. Unsere Freiheit soll sich erfüllen aus dem Ursprung, von
dem her wir mit dem Menschen als Menschen verbunden sind.
Wir eignen uns das Ursprüngliche an für unser gegenwärtiges Leben, wenn wir stu-
dieren Plato oder Spinoza oder Kant oder Hegel, Marx, Kierkegaard, Nietzsche. Wer
 
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