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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0212
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Die Idee der Universität [1946]

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baren, sind die durch die Universität zu gebenden Voraussetzungen für alle geistigen
Berufe; das sind die Berufe, die nicht allein auf Ausübung einer Technik und einer end-
lich bestimmten, durch Ausübung zur | sinnvollen Routine werdenden Fachlichkeit 46
beruhen. Der Arzt, der Lehrer, der Verwaltungsbeamte, der Richter, der Pfarrer, der Ar-
chitekt, alle sind im Beruf beschäftigt mit dem ganzen Menschen, mit der Totalität der
Lebensverhältnisse, wenn auch jeder von ganz anderer Seite her. Die vorbereitende
Ausbildung für diese Berufe ist geistlos und macht im Berufe unmenschlich, wenn sie
nicht auf das Ganze führt, nicht die Auffassungsorgane entwickelt und den weiten Ho-
rizont zeigt, wenn sie nicht »philosophisch« macht. Mängel in der Fachroutine, die
unter allen Umständen zur Zeit der Staatsexamina in erheblichem Maße bestehen,
können im Laufe der Praxis beseitigt werden. Fehlt aber jener Boden geistiger wissen-
schaftlicher Ausbildung, so ist alles weitere hoffnungslos.
Jeder, der einen geistigen Beruf ausübt, ist seiner Denkweise nach im Umgang mit
den Dingen ein Forscher. Forscher aber ist, wer in der Bewegung des Erkennens bleibt
und aus Ideen auf das Ganze gerichtet ist. Die einzig wahre Erziehung in den Wissen-
schaften für die Praxis ist daher das Teilnehmenlassen an der forschenden Haltung.
Die Richtung auf das Ganze heißt »philosophisch«, daher ist alle Wissenschaft
philosophisch, sofern sie nicht über den Mitteln den Zweck vergißt, nicht im Lexika-
lischen, in den Apparaten, in den Sammlungen, im Technischen und im bloß Verein-
zelten untergeht und die Idee verliert. Kant hat gesagt, daß die Würde, das ist der ab-
solute Wert der Philosophie, allen anderen Erkenntnissen erst einen Wert gebe.72 Das
heißt nicht, nun sollten alle Philosophie studieren. Mancher Forscher hat seinen phi-
losophischen Impuls außer in seinen neuen Fragestellungen auch in seinem Schelten
auf »die Philosophie« gezeigt. Auf die Philosophie in der Wissenschaft kommt es an
wie auf die Philosophie im Leben, nicht auf philosophisches Gerede und philosophi-
sche Terminologie - das ist meist jene gescholtene schlechte Philosophie.73 Es kommt
an auf den philosophischen Impuls, von dem die Forschung ausgeht, auf die Idee, die
sie führt, auf den Sinn, der der Forschung Wert und Selbstzweck gibt. Darum ist die-
jenige Philosophie wertvoll, die Sauerteig der Wissenschaften74 wird und die den wis-
senschaftlichen Menschen zu prägen vermag, diej enige Philosophie, die der Idee nach
die ganze Universität durchdringt. Das Dasein besonderer philosophischer Lehrstühle
und einer besonderen esoterischen Philo| Sophie, die ohne Berührung mit dem Gan- 47
zen scheinbar als besondere Fachwissenschaft gedeiht, ist eine Einzelfrage der Orga-
nisation und des Unterrichts.

2. Erziehung (Bildung)
Wie alle Tradition bedingt ist durch die besondere Gestalt des gesellschaftlichen Or-
ganismus, so ist auch die bewußte Erziehung abhängig von ihm. Die Erziehung wech-
selt mit den Gestalten, die das geschichtliche Leben der Völker annimmt. Die Erzie-
 
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