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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0222
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Die Idee der Universität [1946]

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tion kann der Idee nach nur die sokratische sein, die kämpfend in Frage stellt, damit
die Menschen sich selbst und sich gegenseitig offenbar werden. Die Atmosphäre der
Kommunikation aus der Gemeinschaft in Ideen schafft die günstigen Vorbedingun-
gen für die zuletzt immer einsame wissenschaftliche Arbeit.
Die geistig fruchtbare Kommunikation findet zwischen Menschen eine festere
Form in der Freundschaft zu zweien, in den Jugendbünden, in der Liebe und Ehe. Die
geistige Bedeutung die Männerfreundschaften (die Brüder Grimm, Schiller und Goethe,
Marx und Engels), der Jugendvereinigungen (Urburschenschaft),64 der Ehe (Schelling-
Karoline, J. Stuart Mill, die Brownings)65 soll hier nicht vergegenwärtigt werden. Wir ver-
gegenwärtigen die Aufgaben der Universität.
Die Universität ist die Stätte, an der bedingungslos nach Wahrheit in jedem Sinne
geforscht wird. Der Wahrheit müssen alle Möglichkeiten der Forschung dienen. Weil
das Wahrheitssuchen radikal ist, muß es an der Universität die stärksten geistigen
Spannungen geben. Diese sind die Bedingungen des Voranschreitens. Aber die Span-
nungen, die zum geistigen Kampf führen, sind sinnvoll durch das gemeinsam Umgrei-
fende, das durch Polarität zur Erscheinung kommt. Echte Forscher sind im heftigen
Kampf zugleich solidarisch verbunden.
| Diese Kommunikation kann gelingen, weil das Wahrheitssuchen an der Univer-
sität von jeder unmittelbaren praktischen Verantwortung entbunden ist. Es gibt hier
nur die Verantwortung für die Wahrheit selbst. Die Forscher stehen, indem sie mitein-
ander um die Wahrheit ringen, nicht im Daseinskampf miteinander. Das Ringen ge-
schieht in der Ebene des Versuchens.
Um so größer ist die mittelbare Verantwortung für die Folgen, die sich aus den Ge-
danken, mögen sie wahr oder falsch sein oder beides zugleich, für Verwirklichungen
in der Welt ergeben. Diese Folgen sind in der Tat von vornherein nicht übersehbar.
Aber das Wissen um sie macht den verantwortungsbewußten Denker behutsam. He-
gel hat gesagt: »Die theoretische Arbeit bringt mehr zuwege als die praktische; ist erst
das Reich der Vorstellungen revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus.«243 Nietz-
sche hat schaudernd diese Verantwortung gesehen, und er ist zugleich der Denker, der
in vernichtendem Übermut verantwortungslos jede Gedankenmöglichkeit in wirk-
samster Fassung in die Welt schleuderte, an der Magie des Extrems sich berauschte und
entsetzte, kommunikationslos in die Leere des Zeitalters rufend.244
Die Kommunikation wird gesteigert sowohl durch Ausbleiben der unmittelbaren
Daseinsinteressen und die damit gegebene Ungefährlichkeit bloßen Versuchens, als
auch durch die mittelbare Verantwortung des Denkens, die in der Kommunikation aus
dem Hintergrund gefühlter Möglichkeiten viel eher erweckt wird als im einsamen, wi-
derstandslosen Denken.
Zur Wahrheit gehört, daß alles geistig Gesagte und Ergriffene eine Wirkung auf den
Menschen hat. Die Kommunikation selber ist ein Ursprung des Wahrheitfindens
durch das Erproben dieser Wirkung. Die Kommunikation macht die Universität zu ei-

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