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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0237
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IÖ2

Die Idee der Universität [1946]

das Leibeswohl (Kant).251 Damit haben sie einen Ursprung außerhalb der Wissenschaf-
ten. In ihnen treten Voraussetzungen auf, die nicht von wissenschaftlicher Eigenstän-
digkeit sind, vielmehr der Wissenschaft Gehalt geben, Aufgabe und Ziel setzen. In der
Theologie handelt es sich um die Offenbarung, die verstanden wird in der Geschichte
der heiligen Schriften, der Kirche, der Dogmen, und die als gegenwärtiger Glaubens-
inhalt vergewissert wird. In der Jurisprudenz handelt es sich um das positive Recht des
Staats, das, durch die Staatsmacht hervorgebracht und verwirklicht, logisch verstan-
den und in der Anwendung rational berechenbar gemacht wird. In der Medizin han-
delt es sich um die Gesundheit des Menschen, ihre Erhaltung, Förderung und Wieder-
herstellung auf Grund eines Wissens, das die Natur des Menschen begreift.
Jedesmal ist für das gesamte Tun dieser Fakultäten ein nicht wissenschaftlicher Bo-
den. Wissenschaft erhellt diesen Boden. Oder es gerät das Tun dieser Fakultäten ins
Bodenlose. Das ist an eigentümlichen Erscheinungen, die dann möglich werden, bei-
spielsweise zu sehen:
In der Theologie wird die Grenze des Übervernünftigen berührt, aber durch Ver-
nunft. Statt den Boden der Offenbarung vernünftig zu vergegenwärtigen, kann eine
Leidenschaft in das Absurde erwachsen. Das sich Widersprechende soll wahr sein, der
Glaubensinhalt durch Knechtung des Verstandes bestätigt werden, die Willkür des Ge-
horsams gegen etwas, das doch als Erscheinung in der Welt in Aussagen und Urteilen
da ist, das rechte Leben sein. Gewaltsamkeit und Fanatismus, Ketzerrichtertum und
Lieblosigkeit machen diese rabies theologorum252 aus.
Oder der Boden der Offenbarung wird verloren. Der Glaube soll als vernünftiger
Inhalt aus der Vernunft als solcher entwickelt werden. Aber mit seinem geschichtli-
chen Grunde geht er selber verloren. Unglaube in einem in der Tat beliebigen Denken
ist das Ende.
In der Jurisprudenz ist der Boden die Wirklichkeit der positiven Rechtsordnung.
Diese soll als sinnvoll verstanden und in widerspruchslosen Zusammenhang gebracht
80 werden. Ein natürliches Recht ist zwar kein fester Maßstab, aber eine Idee. Aus diesem
Boden geht der Abfall in die Bodenlosigkeit der Rechtswillkür. Dann gilt das Positive
einfach, weil eine Staatsmacht es gesetzt hat. Das Widerspruchsvolle und das Unrechte
gilt nicht mehr als Einwand. Das Rechtswidrige wird juristisch begründet. Gewalt
herrscht auch in diesem Denken statt Vernunft.
Umgekehrt sinkt eine Jurisprudenz ohne den positiven Rechtsboden eines ge-
schichtlichen Staatswesens ins Nichts.
In der Medizin ist der Boden der Wille zur Förderung des Lebens und der Gesund-
heit jedes Menschen als Menschen in seiner Artung. Es gibt keine Einschränkung. Der
Wille zum Helfen und Heilen trifft zunächst und immer den Einzelnen und alle nur,
sofern die Einzelnen davon Vorteil haben, kein Einzelner einen leiblichen Nachteil hat.
Aber die Sorge für die Gesundheit ist insofern nicht eindeutig, als der Begriff der
Gesundheit selber als Ziel des Menschen keineswegs eindeutig ist. Die Erfüllung der
 
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