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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0239
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Die Idee der Universität [1946]

Forschens zu integrieren: die Ausdehnung der Universität müßte zum Grunde eines
wirklich umfassenden Ganzen werden.
3. Die Ausdehnung der Universität
In der modernen Welt richtet die Universität fortlaufend Anstalten und Lehrbetriebe
ein für neue Bedürfnisse der Gesellschaft. Es sind entweder technische Spezialitäten
oder Stoffgebiete oder Zusammenfassungen für bestimmte Berufszwecke, die eine be-
sondere Lehrvertretung verlangen. Die Ausdehnung der Universität ist ein unaufhalt-
82 samer Prozeß. Darin liegt ein | Sinn: alles menschliche Tun ist wissendes Tun; wo im-
mer Wissen erforderlich ist, da geht an die Universität die Forderung, es zur höchsten
Entfaltung zu bringen und zu lehren.
Aber die Folge war nicht selten eine gedankenlose Erweiterung ins Zerstreute eines
beziehungslosen Nebeneinander beliebiger Fächer. Astronomie und Betriebswissen-
schaft, Philosophie und Hotelfachwesen stehen schließlich auf gleicher Ebene eines
endlos vielfachen Aggregats.
Demgegenüber wäre eine rein negative Haltung nur unfruchtbares Vornehmtun.
Die Idee der Universität verlangt Aufgeschlossenheit. Es gibt nichts, das nicht wissens-
wert wäre, und keine Kunst, die nicht ein Wissen erfordert. Aber die Universität kann
allem nur gerecht werden, wenn es ihr gelingt, es mit dem Geiste des Ganzen zu durch-
dringen. Sie muß die Struktur der Wissenschaftlichkeit dadurch bewahren, daß sie das
herangebrachte Material faktischen Wissens und Könnens in erneuerter Gestalt an-
eignet und unter Führung der Ideen im Ganzen des Wißbaren eingliedert.
Es gibt zwei Weisen der Erweiterung durch Vermehrung der Fächer. Die erste Weise
ist die der natürlichen Entwicklung der Wissenschaft, die sich reicher werdend glie-
dert. In den Spaltungen des Ganzen bleibt das Neue je ein Ganzes, wie Leben aus Le-
ben hervorgeht. So wurden in der Medizin die Psychiatrie und die Augenheilkunde
selbständig, beide als Wissenschaften und durch ihre Vertreter von universalem Cha-
rakter. So ist umgekehrt gerichtliche Medizin zweifellos kein geistig selbständiges Fach,
sondern eine Sammlung technischer Fertigkeiten und des für diesen Zweck nützlichen
Wissens. Zweifelhaft ist der Rang der Zahnheilkunde oder auch noch der Ohren- und
Nasenheilkunde, weil die Organe, die der Gegenstand dieser Fächer sind, nicht die
Möglichkeit universellen Ausgreifens mit sich bringen - das Fach steht nicht geistig
gleichwertig neben innerer Medizin, Augenheilkunde, Psychiatrie. Zweifelhaft ist
auch der Rang der Hygiene. Obgleich hervorragende Vertreter dieses Faches mit Recht
Ordinarien waren, ist das Fach als solches doch praktisch-technisch begrenzt, ohne
vorantreibende Idee. Daß die Bakteriologie produktiv von Hygienikern gefördert
wurde, gibt dem Fach als solchem noch nicht den Rang der ideebestimmten Grund-
wissenschaften. Doch auf diese Fragen im einzelnen zu antworten, würde jeweils ein-
83 gehende Studien | und das Sachverständnis für diese Gebiete verlangen. Uns kommt
 
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