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Die Verantwortlichkeit der Universitäten
dem Willen des Volkes, so wie sie früher nur möglich war durch den uns frei lassen-
den, aber nicht immer günstigen Willen von Kirchen und Monarchen.
Man sagt - auch unter den uns Wohlwollenden -, daß wir zu wenig aufgeschlos-
sen seien für die Ansprüche des Volkes und der Öffentlichkeit. Unsere Antwort: Sol-
che Kritik soll uns, wo sie Bestimmtes zu sagen weiß, stets zur Selbstprüfung veranlas-
sen. Dabei ist heute eines gewiß, und wir bitten alle, es nicht zu vergessen: Wir können
nur beides zugleich leisten, unsere eigene Wiederherstellung und die Erfüllung der
sozialen Forderungen. Wir sind noch nicht da als strahlendes, überzeugendes Ge-
bilde, und wir unterliegen Ansprüchen, die noch unklar sind bei denen, die sie erhe-
ben.
Wir sind noch nicht, was wir sein sollen. Darum ist die kaum ausgesprochene Forde-
rung des Volkes an uns: die allein durch uns selbst zu leistende geistige Wiederherstel-
lung. Nur als eine Gemeinschaft geistig forschend produktiver, in öffentlichen Schrif-
ten und Werken sichtbarer geistiger Menschen, die in ihrer Gesamtheit trotz aller
unvermeidlichen Versager ein geistiges Fluidum ausstrahlen, haben wir ein Recht. Mit
verzehrender Leidenschaft bei der wissenschaftlichen Arbeit zu sein, das ist die erste
Forderung - und daher unsere große Dankbarkeit gegen die Männer unter uns, die -
auf ihre eigene Arbeit vorübergehend verzichtend - sich in der Notzeit einsetzen für
Verwaltung und Selbstbehauptung der Universität als Institution.
Unsere Widerherstellung ist untrennbar von der Revolution der Denkungsart,290
welche aus unserer Katastrophe entspringt, die, seit langem vorbereitet, 1933 über uns
hereinbrach. Wir können nicht leben, als ob nichts geschehen sei, als ob wir wieder an-
fingen, wo wir 1933 aufhörten, als ob wir bloß wiederherstellten, was war. In einer
neuen Welt haben wir uns selbst zu finden und dadurch unseren bescheidenen Beitrag
zu leisten auf dem Wege zur Weltordnung. Es steht noch nicht fest, was wir sind und
sein werden. Es bleibt im Sittlichen und Geistigen entscheidend Sache unserer Freiheit.
Die Universität soll die geistige Springfeder der kommenden Demokratie als Ethos
und Lebensart sein, nicht durch politische Aktivität, sondern durch Vorbereitung. Ent-
weder wird sie sich selbst und die Jugend erziehen in der vollen Freiheit der in radika-
ler Diskussion hervorgehenden Wahrheit; und dann wird bis zum Ton der Sprache hin
die Wahrheit ihr Wesen zeigen, die Menschen miteinander zu verbinden. Oder die
Universität verschwindet in der Nivellierung einer bloßen Schule mit nur endlichen
Zwecken des Nutzens, ohne Kraft der Menschenformung.
Nun zu den sozialen Forderungen im engeren Sinne. Wir hören: Das Volk drängt zur Uni-
versität, die Universität soll Volkshochschule werden, alle Kreise und Klassen sollen
Zugang zur Universität gewinnen. Der Vorwurf ist, die heutige Universität sei Klassen-
Die Verantwortlichkeit der Universitäten
dem Willen des Volkes, so wie sie früher nur möglich war durch den uns frei lassen-
den, aber nicht immer günstigen Willen von Kirchen und Monarchen.
Man sagt - auch unter den uns Wohlwollenden -, daß wir zu wenig aufgeschlos-
sen seien für die Ansprüche des Volkes und der Öffentlichkeit. Unsere Antwort: Sol-
che Kritik soll uns, wo sie Bestimmtes zu sagen weiß, stets zur Selbstprüfung veranlas-
sen. Dabei ist heute eines gewiß, und wir bitten alle, es nicht zu vergessen: Wir können
nur beides zugleich leisten, unsere eigene Wiederherstellung und die Erfüllung der
sozialen Forderungen. Wir sind noch nicht da als strahlendes, überzeugendes Ge-
bilde, und wir unterliegen Ansprüchen, die noch unklar sind bei denen, die sie erhe-
ben.
Wir sind noch nicht, was wir sein sollen. Darum ist die kaum ausgesprochene Forde-
rung des Volkes an uns: die allein durch uns selbst zu leistende geistige Wiederherstel-
lung. Nur als eine Gemeinschaft geistig forschend produktiver, in öffentlichen Schrif-
ten und Werken sichtbarer geistiger Menschen, die in ihrer Gesamtheit trotz aller
unvermeidlichen Versager ein geistiges Fluidum ausstrahlen, haben wir ein Recht. Mit
verzehrender Leidenschaft bei der wissenschaftlichen Arbeit zu sein, das ist die erste
Forderung - und daher unsere große Dankbarkeit gegen die Männer unter uns, die -
auf ihre eigene Arbeit vorübergehend verzichtend - sich in der Notzeit einsetzen für
Verwaltung und Selbstbehauptung der Universität als Institution.
Unsere Widerherstellung ist untrennbar von der Revolution der Denkungsart,290
welche aus unserer Katastrophe entspringt, die, seit langem vorbereitet, 1933 über uns
hereinbrach. Wir können nicht leben, als ob nichts geschehen sei, als ob wir wieder an-
fingen, wo wir 1933 aufhörten, als ob wir bloß wiederherstellten, was war. In einer
neuen Welt haben wir uns selbst zu finden und dadurch unseren bescheidenen Beitrag
zu leisten auf dem Wege zur Weltordnung. Es steht noch nicht fest, was wir sind und
sein werden. Es bleibt im Sittlichen und Geistigen entscheidend Sache unserer Freiheit.
Die Universität soll die geistige Springfeder der kommenden Demokratie als Ethos
und Lebensart sein, nicht durch politische Aktivität, sondern durch Vorbereitung. Ent-
weder wird sie sich selbst und die Jugend erziehen in der vollen Freiheit der in radika-
ler Diskussion hervorgehenden Wahrheit; und dann wird bis zum Ton der Sprache hin
die Wahrheit ihr Wesen zeigen, die Menschen miteinander zu verbinden. Oder die
Universität verschwindet in der Nivellierung einer bloßen Schule mit nur endlichen
Zwecken des Nutzens, ohne Kraft der Menschenformung.
Nun zu den sozialen Forderungen im engeren Sinne. Wir hören: Das Volk drängt zur Uni-
versität, die Universität soll Volkshochschule werden, alle Kreise und Klassen sollen
Zugang zur Universität gewinnen. Der Vorwurf ist, die heutige Universität sei Klassen-