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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0301
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Der übernationale Sinn der abendländischen Universität

2) Geistige Selbständigkeit, Begabung und die Opferbereitschaft eines sich an den
geistigen Aufschwung bedingungslos hingehenden Lebens sind nicht jedem Men-
schen gleicherweise eigen. Die Menschen werden sehr verschieden geboren und ha-
ben sehr verschiedene Energie, aus Freiheit sich für ihre Aufgaben zu verzehren. Da-
her gilt, daß möglichst aller Jugend die Chance, aber nur den wenigen Begabten, denen
zudem das geistige Leben den eigentlichen Lebenswert ausmacht, das Recht zum Stu-
dium und dann wiederum noch wenigeren das Recht zur Lehre gegeben werden sollte.
Die Demokratie der Chancen soll eine Aristokratie des durch faktische Leistung erwie-
senen Geistes hervorbringen.309
Daher wehrt die Universität die Herrschaft des Durchschnittlichen ab. Die Auslese
ist ein Grundproblem ihres Daseins. Aber die Auslese kann durch keine Organisation
von Tests und dergleichen genügend geleistet werden, sondern entscheidend allein
durch geistige Leistungen, die zunächst von sachkundigen Lehrern auf den Schulen,
dann durch die Forscher-Lehrer an den Hochschulen im persönlich verantwortlichen
Urteil, schließlich durch die Öffentlichkeit auf Grund der Publikationen des Forschers
stattfindet.
Die Idee ist, daß jeder, der einen geistig fundierten Beruf ergreift, Arzt, Lehrer, Rich-
11 ter, Verwaltungsbeamter, Pfarrer, Ingenieur usw. | Teilnahme gewonnen hat an den
Methoden der Forschung, selbst ein Suchender geworden ist und sich in der Praxis ge-
nau so wie ein kritischer Forscher verhält, auch wenn er nicht dazu kommt, bestimmte
Ergebnisse im Druck der Öffentlichkeit vorzulegen.
3) Wahrheit gibt es nicht als den fertigen Bestand des einen Ganzen, sondern
als die Vielfachheit des bis dahin Erkannten, Gedachten, Versuchten. Das Erken-
nen drängt auf immer weitere Ausbreitung und gleichzeitig auf immer neue Verein-
heitlichung. Da aber niemand im Besitze dieser Wahrheit ist, so ist das Element ihres
Daseins in der Bewegung des Miteinander der Forscher und Sachkundigen. Sie dis-
kutieren, sie korrigieren sich durch Kritik. Daher ist Freiheit des Wortes, Freiheit der
Forschung und Lehre Voraussetzung der Universität. Im freien Diskutieren soll die
Kritik aller der Wahrheit näher bringen. Kein einzelner Mensch kann sich auf sich
verlassen. Keinem einzelnen Menschen ist als einer Autorität absolutes Vertrauen zu
schenken, wohl aber dem Miteinander der Besten, wenn sie sich ermutigen und er-
muntern im Widerhall.
Daher wehrt die Universität jede festsetzende Autorität ab. Niemand darf durch An-
ordnung die Forschung und Lehre dirigieren. Jedem Professor, der ernannt ist, kommt
das Vertrauen zu, daß er nach eigenem Urteil seine Forschung wage, seine Lehrweise
und seine Auswahl des Wesentlichen bestimme. Aber jeder auch steht unter der ge-
genseitigen Kritik, die in der Zurechtsetzung keine sachliche Grenze kennt, aber ge-
meint ist als Anregung zur Selbstkorrektur, die ein jeder ständig zu vollziehen hat. -
Wem der Sinn des Wahrheitssuchens lebendig geworden ist, der wird das Bewusst-
sein von der notwendigen Autonomie der Universität haben. Sie soll sich selbst be-
 
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