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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0317
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Das Doppelgesicht der Universitätsreform

düng und Organisation der Verschulung, bei der unter Beibehaltung des Namens der
Universität die Universität selber zugrunde gegangen ist.
Jede Besinnung auf Änderung etwa der Verfassung, der Selbstverwaltungsformen,
der Änderung der Institutsrechte, der Lehrtypen, des Unterrichts usw. muß zwar auf
greifbare Zwecke blicken, aber die übergreifende Kritik und Begründung in dem Lichte
finden, das die Wege zur Verwirklichung des geistigen Lebens selber, des Hervorbrin-
gens in dem Miteinander von Forschung und Lehre zeigt. Die beiden Aufgaben lassen
sich nicht nebeneinander, sondern nur zugleich erfüllen. Dabei hat die erste die Seite,
daß man die Mittel zum Zweck erdenken und machen kann, die zweite dagegen die
Grundeigenschaft, daß sie durch kein Machen und Planen sich erfüllen läßt, sondern
allein durch das Dasein der einzelnen Forscher, Lehrer, Studenten, in denen die Idee
lebt und zur Wirklichkeit kommt. Das Organisieren kann für dies eigentlich wesentli-
che Chancen geben, aber es nicht herstellen. Das von der Idee der Universität geführte
Organisieren wird immer an diese Chancen denken, sie unter keinen Umständen min-
dern, sondern überall fördern wollen.
>Doppelgesicht< der Universitätsreform will sagen: Untrennbar sind die beiden Auf-
gaben erstens der äußeren Organisation und Versorgung der Universität und zweitens
der inneren Verwandlung der Denkungsart zur Wiedergewinnung der Idee der Uni-
versität in neuer Gestalt.333 Die bloße Realisierung der Massenversorgung mit Un-
terricht würde den Sinn verlieren, die bloße Spekulation der Idee würde in Schwär-
merei irreal werden. Wie beides sich zueinander verhalten wird durch die letzte
geistige Motivierung der greifbaren Maßnahmen, entscheidet das Schicksal der Uni-
versität.
Die Aristokratie des Geistes,334 aus allen Volksschichten hervorgehend, wesentlich
gegründet im Ethos, in der verzehrenden Leidenschaft des Geistes des einzelnen, in
der Begabung, ist stets die Minderheit. Die Idee der Universität ist auf diese Minderheit
gerichtet. Zum Heile aller ist es, daß die Norm von dieser ursprünglichen Kraft des Gei-
stes ausgeht, daß der Durchschnitt selber seinen Wert durch den Aufblick zum Höhe-
ren und in der Erleuchtung von dort her sieht.
Da aber die Aristokratie nur auf demokratischem Wege anerkannt werden kann,
nicht durch eigenen Anspruch besteht, ist die Universität an die Gesinnung aller, der Stu-
80 deuten und Dozenten, gebunden. Daß das Hervorragende in Leistung und Persönlich-
keit gesehen, gefördert, unausdrücklich aber faktisch anerkannt werde und zur Wir-
kung gelange, ist die Bedingung des Lebens der Universität.
Die Universitätsreform bedarf einer unermeßlichen konkreten Arbeit. Von ihr soll
in den folgenden Erörterungen nicht gesprochen werden. Vielmehr möchte ich in
diesem Aufsatz nur an jene begründende geistige Macht erinnern, ohne die alle Re-
formen nur das Todesurteil über die Universität in dem dann täuschenden Schein ei-
nes blühenden Schulbetriebs zur Ausbildung der überall benötigten gelernten Arbei-
ter würde.
 
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