Das Doppelgesicht der Universitätsreform
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Der Student steht am Anfang seines Lebensweges, will ihn im Ursprünglichen grün-
den und trägt mit seiner Zukunft die Zukunft seines Volkes und Staates, auf die er sich
vorbereitet. Kommt er zur Universität, so wehen ihm in aller Verwirrung und Betrieb-
samkeit doch die Funken des Geistes entgegen, wenn er sie wahrnehmen kann und in
seiner Seele zünden läßt. Wer Urteilskraft hat, das heißt ständig unter seiner eigenen
geistigen Führung arbeitet, die sich als Führung durch die Sachen selbst zeigt, hat Chan-
cen, auch unter sonst ungünstigen Bedingungen unbeirrbar seinen Weg zu finden.
Wenn der Student mit der Universität unzufrieden ist, hat er recht. Aber die ein-
zige Möglichkeit, die Lage zu bessern, ist für ihn, daß er selbst für sich die Wirklichkeit
einer wahren Universität mit schafft durch die Weise seines Studiums, ebenso durch hartnäk-
kige Arbeit wie durch sein diese Arbeit durchdringendes geistiges Dasein. Nur aus solchen
Studenten können die aus der Idee der Wahrheit in allen Berufen wirkenden Männer
werden und können unter ihnen einige einst als Professoren die wahre Universität wie-
der zur Erscheinung bringen. Sie werden sie hervorziehen aus der Verworrenheit.
So war es immer. Es kommt nicht von selbst durch einen automatischen Ge-
schichtsprozeß; dieser mag als Chiffre207 eines undurchschaubaren Etwas gelten, das
eine Grenze des Menschen fühlbar macht, in dem man aber, da man es nicht kennt,
sich auch nicht orientieren kann. Es kommt auch nicht allein durch ein Organisieren
nach Plan. Solcher Plan ist ein wirksames Mittel nur in der Hand derer, die die Idee der
Universität selber kraftvoll in sich tragen.
Noch einmal: Das Entscheidende ist der Entschluß, der mit der Aufgabe zugleich
das eigene Leben gründet: die Wahrheit zu suchen auf den Wegen der Wissenschaft.
Der Student ist zunächst verantwortlich nur für sich selbst. Ganz anders der Do-
zent, der mit der Verantwortung für sich | selbst schon unmittelbar wirksam für das
Ganze verantwortlich ist. Professoren und Staatsmänner müssen gegenwärtig in dem
völlig ungenügenden und unstabilen Zustand durch Reformen die Bedingungen für
die bestmögliche Erfüllung der Aufgabe finden. Wenn ihnen zweckmäßige Einrichtungen
und Ordnungen gelingen sollen, müssen sie dabei ständig an den eigentlichen Sinn denken
und ihn wollen: die Universität als den Ort, in dem die Wahrheit in jeder ihrer Richtungen of-
fenbar und zugleich von den Studenten mitergriffen werden soll. Dieses aber, was mehr ist
als Reform, wofür vielmehr die Reform sein soll, das ist die ständige Wiedergeburt der
Wahrheit in den Gelehrten, Forschern, Denkern. Daß diese die Mitte der Universitä-
ten sei, wie die Universität im Ganzen die Mitte der geistigen Bildung eines Volkes sein
könne, das ist die leitende Idee, oder die gesamten Reformen werden ein Betrieb, in
dem die Universität selber verlorengeht.
Wir treiben auf einem Meere, dessen Stürme noch mächtiger zu werden drohen.
Wir suchen nach dem Steuer im Ganzen (im Entschluß zur Wahrheit). Aber jeden Au-
genblick müssen wir schon bemüht sein um unsere nächste Umwelt, die wir innerhalb
unseres Schiffes trotz der Drohungen auf der Fahrt gestalten. Auch an der Universität
haben wir die Atempause zu nutzen, um so zu denken, zu arbeiten, zu handeln, daß
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Der Student steht am Anfang seines Lebensweges, will ihn im Ursprünglichen grün-
den und trägt mit seiner Zukunft die Zukunft seines Volkes und Staates, auf die er sich
vorbereitet. Kommt er zur Universität, so wehen ihm in aller Verwirrung und Betrieb-
samkeit doch die Funken des Geistes entgegen, wenn er sie wahrnehmen kann und in
seiner Seele zünden läßt. Wer Urteilskraft hat, das heißt ständig unter seiner eigenen
geistigen Führung arbeitet, die sich als Führung durch die Sachen selbst zeigt, hat Chan-
cen, auch unter sonst ungünstigen Bedingungen unbeirrbar seinen Weg zu finden.
Wenn der Student mit der Universität unzufrieden ist, hat er recht. Aber die ein-
zige Möglichkeit, die Lage zu bessern, ist für ihn, daß er selbst für sich die Wirklichkeit
einer wahren Universität mit schafft durch die Weise seines Studiums, ebenso durch hartnäk-
kige Arbeit wie durch sein diese Arbeit durchdringendes geistiges Dasein. Nur aus solchen
Studenten können die aus der Idee der Wahrheit in allen Berufen wirkenden Männer
werden und können unter ihnen einige einst als Professoren die wahre Universität wie-
der zur Erscheinung bringen. Sie werden sie hervorziehen aus der Verworrenheit.
So war es immer. Es kommt nicht von selbst durch einen automatischen Ge-
schichtsprozeß; dieser mag als Chiffre207 eines undurchschaubaren Etwas gelten, das
eine Grenze des Menschen fühlbar macht, in dem man aber, da man es nicht kennt,
sich auch nicht orientieren kann. Es kommt auch nicht allein durch ein Organisieren
nach Plan. Solcher Plan ist ein wirksames Mittel nur in der Hand derer, die die Idee der
Universität selber kraftvoll in sich tragen.
Noch einmal: Das Entscheidende ist der Entschluß, der mit der Aufgabe zugleich
das eigene Leben gründet: die Wahrheit zu suchen auf den Wegen der Wissenschaft.
Der Student ist zunächst verantwortlich nur für sich selbst. Ganz anders der Do-
zent, der mit der Verantwortung für sich | selbst schon unmittelbar wirksam für das
Ganze verantwortlich ist. Professoren und Staatsmänner müssen gegenwärtig in dem
völlig ungenügenden und unstabilen Zustand durch Reformen die Bedingungen für
die bestmögliche Erfüllung der Aufgabe finden. Wenn ihnen zweckmäßige Einrichtungen
und Ordnungen gelingen sollen, müssen sie dabei ständig an den eigentlichen Sinn denken
und ihn wollen: die Universität als den Ort, in dem die Wahrheit in jeder ihrer Richtungen of-
fenbar und zugleich von den Studenten mitergriffen werden soll. Dieses aber, was mehr ist
als Reform, wofür vielmehr die Reform sein soll, das ist die ständige Wiedergeburt der
Wahrheit in den Gelehrten, Forschern, Denkern. Daß diese die Mitte der Universitä-
ten sei, wie die Universität im Ganzen die Mitte der geistigen Bildung eines Volkes sein
könne, das ist die leitende Idee, oder die gesamten Reformen werden ein Betrieb, in
dem die Universität selber verlorengeht.
Wir treiben auf einem Meere, dessen Stürme noch mächtiger zu werden drohen.
Wir suchen nach dem Steuer im Ganzen (im Entschluß zur Wahrheit). Aber jeden Au-
genblick müssen wir schon bemüht sein um unsere nächste Umwelt, die wir innerhalb
unseres Schiffes trotz der Drohungen auf der Fahrt gestalten. Auch an der Universität
haben wir die Atempause zu nutzen, um so zu denken, zu arbeiten, zu handeln, daß
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