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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0327
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252

Das Doppelgesicht der Universitätsreform

Am Anfang des Nachdenkens darüber sollte die Unterscheidung stehen: Was kann
man planmäßig organisieren, materiell herstellen, gesetzlich ordnen, institutionell er-
richten? Was aber muß diesem zweckhaften Machen vorausgehen als Idee, die aus dem
Ernst jedes einzelnen, seines Entschlusses zur Wahrheit den Maßstab für die besonde-
ren Planungen findet?
91 | Diese Unterscheidung weist auf die Grundtatsache: Eine sachgemäße Hochschulre-
form kann zwar nur unter den realen Bedingungen von Staat und Gesellschaft, aber entschei-
dend doch nur aus dem Inneren der zeitlosen Idee der Universität erfolgen. Die Reform ist auf
die materiellen Mittel, aber nicht weniger auf die unplanbare geistige Initiative ange-
wiesen.
Reformen durch Entwürfe mit endlosen, fast beliebigen Detaillierungen und Re-
glementierungen sind nichtig ohne Führung durch die Idee. Die Idee wird nicht ge-
lernt, sondern kommt im Sichbesinnen, im Widerhall auf ihre aus der Überlieferung
hörbaren Ansprüche zur Wirkung in jeweiliger Wiedergeburt.
Was nicht zu machen ist, läßt sich erwecken. Daß wir uns mitteilen, ermutigt. Wir
sollen nicht historisch Vergangenes wiederholen, aber die ewige Idee, die wir im Vergangenen
schon wirksam sehen und die immer in die Zukunft weist, für unseren Augenblick verwirkli-
chen.
Voraussetzung der Universitätsreform ist die Wiedergeburt in gemeinsamer Den-
kungsart. Sie erfolgt in der Verwirklichung der Idee durch die einzelnen Wissenschaf-
ten und in dem gedanklichen Ausdruck ihres Weges im Ganzen der Universität.
Die geschichtliche Erinnerung an das von lang her und für immer Wahre der Idee
stärkt die Gesinnung für die Gegenwart. Daß sie da und keineswegs, als nunmehr ver-
altet, verschwunden ist, daß sie vielmehr nie veralten kann und unter neuen Bedin-
gungen in neuem Rahmen wieder verwirklicht werden soll, ist eine Voraussetzung gei-
stiger Existenz.
Der gegenwärtigen Wirklichkeit der Idee entspringen die Maßstäbe und die Urteils-
kraft für Universitätsfragen, Reformen, die ihre Motive nicht zugleich an der Idee ge-
prüft haben, sind vordergründliche, zerstreuende und verwirrende Polypragmasie.351
Nur wer die Idee der Universität in sich trägt, kann für die Universität sachentspre-
chend denken und wirken. Wer nicht, der sieht nur einen Betrieb, der sich organisie-
ren läßt nach Zweck und Mittel und der die Sache einer konventionellen Gesellschaft
und ihrer Manieren ist. Der Zweck gilt als bekannt: Ausbildung zu den Berufen, in de-
nen man spezifische Kenntnisse braucht. Die Berufe sind Leistungsweisen wie die Her-
stellung und der Vertrieb von Waren. Dieser Betrieb wird unter traditionellen rhetori-
schen Wendungen verkleidet.
Wer aber aus der Idee der Universität wirkt, tut es schon in der Weise, wie er forscht,
welchen Sinn er seiner Forschung gibt, wie er lehrt, wie er in seinen Schriften die Sache
mitteilt. Er tut es in der Universitätsverwaltung an einem Maßstab, der sich nicht als
ein nur rationaler zur Verfügung stellen läßt, sondern als Geist, der Geist will, alles Ge-
 
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