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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0344
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961] 269
Sie würden mit der radikalen Verschulung der Universitätsausbildung beginnen362
Dann würde am Ende die Selbstbehauptung der freien Welt nicht mehr etwas vertei-
digen, das sich lohnt, nämlich nicht mehr die Freiheit, sondern die Apparatur. Ein
Kampf der Selbstbehauptung würde sinnlos. Denn man wäre selber zu dem, was man
bekämpfen wollte, wäre im Kampf mit dem Drachen selber zum Drachen gewor-
den.363
Die Substanz dessen, als was wir und wofür wir leben, die Freiheit, ist gebunden an
die Weise, wie produziert, ausgebildet, gelehrt und geforscht wird.
Ohne Wahrheit keine Freiheit, ohne Freiheit kein Friede.364 Diese Einsicht kann im
Schatten der Gesamtsituation dem Sinn der Universität die höchste Steigerung brin-
gen. In allen Fakultäten, in jeder auf die ihr eigenen vielfachen Weisen, und in allen ge-
meinsam auf die eine Idee bezogen, soll die Wahrheit zum Leuchten gebracht werden.
Dadurch daß die Universität mit allen ihren forschenden Organen dies erkennt,
kann sie erstens die Folgerung für ihre eigene Ordnung und Struktur ziehen, und wird
sie zweitens durch ihre überparteiliche und übernationale Denkungsart, die der Na-
tur des menschlichen Erkennens und Glaubens entspricht, in der Mitte stehen durch
die Strahlkraft der Wahrheit.
Das kann sie aber nur dann, wenn sie ihre eigene Idee von neuem verwirklicht:
Während sie die bestmöglichen Kräfte ausbildet für alle Zwecke, die das Leben stärker,
leistungsfähiger, erfüllter, tiefer und wahrer machen, vollzieht sie die Führung aus ih-
rem Geiste. Indem sie sich selbst behauptet in ihrer Idee, hilft sie mit an der Selbstbe-
hauptung von Volk und Staat.365
Sie steht am Scheideweg. Entweder verwirklicht sie die Idee der Wahrheitserkennt-
nis und der ihr entspringenden geistigen Initiative und Radikalität in allen Richtun-
gen, oder sie verliert die Idee, wird zum Ausbildungsapparat und läßt im Ganzen nur
neben der totalitären eine zweite, selber im verborgenen | Grunde schon totalitäre Ma- 10
schinerie entstehen. Am Ende würden, ohne daß in Wahrheit etwas durch Selbstbe-
hauptung zu retten wäre, nur zwei Maschinen sinnlos aufeinanderprallen und durch
ihre Explosion die Menschheit begraben.
d) Die Entscheidung der Universität
Allen Aspekten gegenüber, die sich wie ein unentrinnbares Natur- oder Geschichtsge-
schehen aufzeigen wollen, steht in der wirklichen Lage entscheidend der Entschluß
der Menschen.131 Wie politisch der Entschluß möglich ist, uns dem nur vermeintlich
notwendigen, ohne uns sich vollziehenden Zerstörungsprozeß, soviel an uns liegt,
nicht zu fügen, weder dem Ende im Atomtod noch dem Ende in der totalen Herrschaft,
so an der Universität der Entschluß, in den partikularen Zwangsläufigkeiten die gestal-
tende Kraft der Idee zur Wirksamkeit kommen zu lassen.
Diese Entscheidung wird eine gemeinschaftliche von Studenten, Professoren,
Staatsmännern sein.
 
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