Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0346
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

271

unseres Schiffes trotz der Drohungen auf der Fahrt gestalten. Auch an der Universität
haben wir die Atempause zu nutzen, um so zu denken, zu arbeiten, zu handeln, daß
wir uns behaupten und zu den ihrem Wesen nach uns Verbundenen gelangen, um mit
ihnen gemeinsam in freier Solidarität die große Fahrt zu bestehen.
| Wir möchten mit ihnen das Steuer in uns spüren. Dazu ist als erste Voraussetzung 12
notwendig dieses Eine:

2. Der bleibende Ursprung: Wahrheit und Wissenschaft
Was Wahrheit sei, kann nicht einfach hingesagt werden. Es wird im Leben der Univer-
sität offenbar, ohne je abgeschlossen zu sein. Aber man spricht von Wissenschaft, als
ob selbstverständlich jeder wisse, worum es sich handle (wenn z.B. das Grundgesetz
der Bundesrepublik bestimmt: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind
frei«).366 Das Vorhandene braucht, so scheint es, nur durch Verfassung geschützt und
durch Organisation betrieben zu werden, dann entfaltet es sich.
So aber ist es keineswegs. Erst in einer unaufhaltsamen Bewegung, zugleich mit der
Infragestellung seiner selbst und mit der Kritik jeder eingenommenen Position zeigt
sich, was Wahrheit und Wissenschaft sei. Wenn der Mensch die Wissenschaften als
ein Moment des Offenbarwerdens der Wahrheit ergreift, so braucht er durchaus nicht
vorher und braucht er nie endgültig zu wissen, was Wahrheit und Wissenschaft im
Ganzen sind. Es ist genug von ihnen ergriffen zu sein.
Etwas, das weder aus der Gesellschaft noch aus dem Staat, sondern nur aus dem ur-
sprünglichen Wissenwollen367 verstehbar ist, das ist dieses Übernationale, Abendlän-
dische, Menschheitliche, dem an der Universität gedient wird, womit zugleich ihre
anderen auf Staat und Gesellschaft bezogenen Aufgaben Erfüllung finden. Verwirkli-
chen kann sich die Universität aus dem ursprünglichen Wissenwollen nur, wenn Ge-
sellschaft und Staat es wollen.
Was dieser Ursprung eigentlich ist, dessen Wirksamkeit in uns so lebendig sich be-
zeugt, ist von der Philosophie durch die Jahrtausende auf mannigfache Weise zu den-
ken und geradezu auszusprechen versucht worden. Am wenigsten mißverständlich
finden wir diesen Ursprung vielleicht in der Kantischen »Idee«;368 dann, zwar uns fern
und erst zu deuten, aber beschwingend bei Plato; auf eine zweideutige Weise, daher
verführend bei Fichte, Schelling, Hegel (diese untereinander abweichend, aber ge-
meinsam in einem von Kant radikal sich entfernenden »Idealismus«). | Wenn so das 13
ursprüngliche Wissenwollen, die Einheit der Erkenntnis, das Prinzip der Wahrheit, die
allumgreifende und durchdringende Idee philosophisch in bestimmten Formen aus-
gesprochen wurden, dann sind solche Deutungen nicht selber als objektive Erkennt-
nis des Erkennens für immer gültig. Sie können durch ihre spekulative Kraft mit be-
stimmten Formulierungen das erwecken, was dann selber solche Objektivierungen als
vermeintliches Gewußtsein wieder abwirft.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften