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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0349
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

16 | Mit der tatsächlichen Schwächung der einst alldurchdringenden einen Glaubens-
struktur zeigt sich seit zwei Jahrhunderten zunächst der Aspekt der Auflösung, heute
gesteigert. Keine Wissenschaft, keine Theologie, keine Philosophie, weder die Philo-
sophie als säkularisierte Theologie, noch die Philosophie, die sich allein in ihrem ei-
genen, seit dreitausend Jahren in Erscheinung getretenen Ursprung gründet, gewinnt
die Alleinherrschaft. Der Pluralismus der nun wirksamen Mächte wird Übergriffen al-
lein von der neuen Gestalt der Idee der Universität: An der Universität sollen alle Wege
zur Wahrheit sich treffen, ohne daß eine Instanz über allen besteht. An die Stelle der
Einheit eines auf dem gemeinsamen Boden sich in sich spaltenden und kämpfenden
Glaubenssystems, seiner Kategorien und Ordnungen, ist die neue Instanz getreten: die
eine einzige, die sich im geistigen Ringen, in der Kommunikation der Erkennenden
selber erst hervortreibt, ohne als bestehend vorausgesetzt zu sein und an einem Orte
systematischer Totalität des Denkens in der Hierarchie der Wissenschaften lokalisiert
zu sein. Nennen wir kurz die Motive, die in dieser Wandlung zur Geltung kommen:
1. Die modernen Wissenschaften sind aus ganz verschiedenen Interessen entstan-
den (im experimentierenden Denken der späteren Scholastik, in den Werkstätten der
Architekten und Künstler, in Bergwerken, in der humanistischen Philologie, in der Ka-
meralistik,336 - dann in der freien Forschung einzelner, die sich über Europa hin in Be-
ziehung setzten, Gesellschaften und Akademien gründeten, - schließlich aufgenom-
men an den Universitäten). Trotz ihrer ganz verschiedenen Ziele, lange Zeit ohne
Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit, zeigte sich ein Gemeinsames. Die modernen
Wissenschaften wollten nicht nur, wie alles Denken von jeher, Wahrheit erkennen,
sondern jene bestimmte Wahrheit, die zwingend und allgemeingültig mit der Bewußt-
heit ihrer Methoden bewiesen wird. Zum ersten Mal in der Geschichte zeigte sich
durch den Erfolg, daß solche Wahrheit möglich ist: wo sie gewonnen wurde, wurde sie
auch von jedermann, der sie verstand, als richtig anerkannt. Das gab es früher fast nur
in Mathematik und Logik, und in der von den Wissenschaften getrennten technischen
17 Praxis. Jetzt bezog sie sich auf | die gesamten Erfahrungsmöglichkeiten. Dieser mo-
derne Forschungsgeist entstand auf vielen Erkenntnisgebieten, unabhängig vonein-
ander. Es war aber überall der gleiche Geist durch den Anspruch auf diese kontrollierte
Weise der zwingenden Richtigkeit. Die Naturwissenschaften haben nach traditionel-
ler Auffassung und durch das Sensationelle ihrer Ergebnisse und deren Anwendbarkeit
den Vorrang; nicht aber haben sie den Vorrang im Sinn der modernen wissenschaft-
lichen Erkenntnisart überhaupt. Die moderne Wissenschaft findet durch die Mannig-
faltigkeit der je besonderen Methoden verschiedene Gestalten. Das hebt aber die Ein-
heit dieses Forschungsgeistes und seiner Gesinnung nicht auf. Die Verwandtschaft
dieses Geistes der Wissenschaftlichkeit hat sich im Bewußtsein der Mitwirkenden zwar
gezeigt, aber nicht allgemein durchgesetzt. Sie ist der einzige heute bestehende Grund
für die gegenwärtig noch konventionell gültige Formulierung von der Einheit der Wis-
senschaften. Denn diese Einheit besteht heute nicht mehr als materiale Einheit eines
 
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