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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0358
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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sagt: »Die sich dem Staat gegenüber auf ihr Selbstverständnis berufende Kirche nimmt
damit für sich das Recht schriftgebundener Selbstinterpretation in Anspruch. Dieses
Recht hat das corpus academicum nicht«. Das ist richtig, sofern die Universität keine
unfehlbare Instanz besitzt, die eine Kirche mit Erfolg innerhalb des Bereiches ihrer
Gläubigen für sich in Anspruch nimmt. An die Stelle solcher dogmatischer Feststel-
lung mit dem Anspruch, auch über die richtige Auslegung der Schrift zu entscheiden,
tritt an die Universität der Anspruch: in freier Wahrheitsforschung aller ihrer Glieder
und in der durch ständige Diskussion erfolgenden Selbstkritik ihr Gesamtleben zu voll-
ziehen, das von keiner juristisch lokalisierten Instanz geführt wird. An der Universität
arbeitet sich heraus, was im Sinne moderner Wissenschaft zwingend gewußt wird, aber
auch das, was in bleibenden Spannungen | der ins Unendliche erhellbaren Grund- 29
mächte sich denkend zu größerer Klarheit bringt. Daß diese Freiheit nicht beschränkt
werde, ist der Anspruch der Autonomie. Der Staat schützt sie auch gegen die Kirche,
indem er diese auf den Bereich kirchlichen Unterrichts beschränkt. Freiheit der Uni-
versität und Freiheit der Kirche lassen sich nicht als von gleicher Art nebeneinander
stellen. Die staatlich gewährte Freiheit der kirchlichen Eehre ist Zulassung einer Den-
kungsart, die im Sinne der Freiheit der Wissenschaften und Philosophie, die der Uni-
versität eignet, nicht selber frei ist. Daher ist die Bestimmtheit der kirchlichen Lehrau-
torität leichter faßbar als die inhaltliche Unbestimmtheit der Freiheit von Forschung
und Eehre. Der Staat gewährt die äußere Freiheit der kirchlichen Lehre, nach deren in-
nerer Freiheit er nicht fragt. Er gewährt die äußere Freiheit der Universität, aber ver-
langt zugleich die innere Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und allen Den-
kens der Wahrheit an der Universität. Köttgen legt den Willen zu dieser Freiheit in den
Willen des durch die Verfassung sich die rechtliche Form gebenden Staates. Mit Recht,
insofern der Staatswille, der die Universität frei läßt, als ein solcher aufgefaßt werden
darf, der diese Freiheit wegen der Wahrheit will, die in ihrer Unbeschränktheit des Su-
chens und Findens Lebensbedingung für ihn selbst ist. Daher macht dieser Staat die
Freiheit auch als unbeschränkte Selbstkritik zur Pflicht. Die garantierte Freiheit der
kirchlichen Lehre besteht nur als vom Staat zugelassen. Er identifiziert sich nicht mit
ihr. Diese Lehre ist eine unter anderen. Er läßt mehrere zu. Die Wahrheit der Universi-
tät aber ist wesentlich Weg, die Lehren sind Stationen auf dem Weg.
Die Frage ist: wo kann ein Konflikt zwischen Staat und Autonomie der Universität
ausbrechen? was geschieht in solchen Konfliktsfällen? was garantiert der Staat eigent-
lich? Doch etwas, das in konkreter Situation der Auslegung bedarf. Wer ist bei dieser
Auslegung die entscheidende Instanz?
Im Konfliktsfalle werden notwendig beide, der Staat und die Autonomie der Uni-
versität diese Instanz für sich in Anspruch nehmen. Die Autonomie der Universität
steht dem Staat im Wesentlichen gegenüber als das Leben des Wahrheitssuchens, des-
sen Radikalität durch Methode und Denkungsart und durch | Kontinuität charakteri- 30
siert ist und als freie Diskussionsgemeinschaft in Erscheinung tritt. Aber formell, im
 
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