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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0362
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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sitäten, sich selbst nicht mehr verstehend, solche totalitären Anstalten als mit ihnen
zu einer umfassenden Gemeinschaft des Geistes gehörend anerkennen.
Die Universität, frei im freien Staat, steht überstaatlich und übernational am Ort
der Wahrheit, die in ihrer für unser Zeitdasein allein möglichen Gestalt alle Menschen
verbinden würde nicht in der einen nun wieder dogmatischen Gewußtheit, sondern
in der Kommunikation des Vielfältigen durch unvollendbare Bewegungen. Wo Wahr-
heit wirkt, gibt es Pluralität der geistigen Mächte.
So ist die überpolitische und insofern apolitische Universität »politisch« nur in
dem einen Punkt: Sie ist als Suchen der Wahrheit unvereinbar mit totaler Herrschaft,
in der die eigentliche Politik selber zu Ende ist (an ihre Stelle treten Manipulationen,
die zum Teil von Machiavelli, radikal im indischen Arthashastra383 beschrieben sind,
überall auf der Welt außer im Abendland das Menschenschicksal beherrschten, und
erst heute im technischen Zeitalter ganz kund geworden sind). Daher war die Univer-
sität unmöglich im Staat des deutschen Nationalsozialismus und ist verschwunden in
allen anderen totalitären Staaten. Wohl wäre sie durchaus verträglich mit einer sozia-
listischen und auch kommunistischen Wirtschaftsordnung, aber nicht mit totaler
Herrschaft. Denn der politische Zustand, der mit Wahrheit nicht verträglich ist, ist
auch mit der Universität nicht verträglich.
| Die Wahrheit, der die Universität dient, ist politisch in dem großen Sinn, daß mit 35
ihr der Mensch hervortreten kann, der durch Wahrheit in täglich erneuter Wiederge-
burt zum eigentlich politischen Wesen wird, zu dem bürgerlichen, in und mit der Ge-
meinschaft lebenden Menschen sich verwandeln kann. Er allein ist auf dem Grunde der
Wahrheit durch Freiheit zum Frieden fähig. Er kann sich allen Menschen in den gemein-
sam hervorgebrachten und geschützten Ordnungen verbinden, nur nicht der totalitä-
ren Herrschaft sich unterwerfen. Daher liegt in der Idee der Universität die Aufgabe, in
der freien Welt dieser und damit sich selbst ständig den Spiegel vorzuhalten, damit die
faktische Unwahrhaftigkeit und Unfreiheit dieser Welt, die nur erst auf dem Wege zur
Freiheit ist, gesehen und immer von neuem überwunden werde. Nur wenn die freie Welt
die Chance in sich selbst ergreift, wahrhaftig und damit wirklich frei werden zu können,
kann sie sich als freie behaupten. Anderenfalls wird sie der totalen Herrschaft verfallen,
die Universität mit ihr zu Grunde gehen. Die Universität soll die Möglichkeit der Politik
überhaupt und damit die Voraussetzung für ihr eigenes Dasein durch die gewaltlosen
geistigen Waffen der Erhellung, Einsicht, Überzeugung, durch die Wahrheit schützen.
4. Reform und Wiedergeburt
In der gesamten freien Welt ist die Universität zum Problem geworden. Man will es
besser machen.
Am Anfang des Nachdenkens darüber sollte die Unterscheidung stehen: Was kann
man planmäßig organisieren, materiell herstellen, gesetzlich ordnen, institutionell er-
 
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