Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0380
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

305

Wissenschaft gibt es einen weiteren Begriff denkender Einsicht, und diesen kann, so-
fern keine Verwechslung eintritt, die Wissenschaft selber anerkennen als den sie er-
gänzenden und vielleicht tragenden Raum des denkend erhellten Seins. Dieses Den-
ken gehört nicht zu ihr, aber ist aus eigenem Ursprung gerechtfertigt.
| Es ist heute nicht mehr zweckmäßig, die solches Denken aussprechende Philoso- 59
phie noch Wissenschaft zu nennen, obgleich Philosophie durch Begriffe und Metho-
den, also auf rationalen Wegen, ihre Klarheit entstehen, ihre Gehalte sich zeigen, ihr
inneres Handeln sich vollziehen läßt. Denn dieses Denken vermittelt nicht Erkennt-
nisse mir bis dahin fremder Sachen, sondern es macht deutlich, was ich eigentlich
meine, eigentlich will, eigentlich glaube; es schafft den hellen Raum meines Selbstbe-
wußtseins.
Der Gedanke kann eine Form sein, die einer Erfüllung aus meinem Wesen heraus
bedarf, um Wahrheit zu bedeuten (wie in den spekulativen Gedanken der Philoso-
phie).
Der Gedanke kann schließlich eine Chiffre sein, die deutend verbirgt.
Diese großartigen und lebenbegründenden Bemühungen des Denkens sind Wis-
senschaft nur im Sinne einer Strenge höchster Klarheit. Sie sind mehr und zugleich
weniger als Wissenschaft. Mehr: sofern sie ein schaffendes, den Menschen verwan-
delndes Denken sind. Weniger: sofern sie nichts Festes als ein Wissen in die Hand ge-
ben. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, den eigentlichen Begriff von Wissen-
schaft deutlich zu haben. Ihn allein meint im Grunde, wenn auch zumeist undeutlich,
der moderne Mensch, wenn er von Wissenschaft spricht, weil nur hier die Wahrheit
für den Verstand überhaupt als das Zwingende und als das Allgemeingültige - ohne
Einsatz meines Wesens - vorliegt. Und es ist andrerseits erst mit der Klarheit dieser ei-
gentlichen Wissenschaft auch möglich, daß die Philosophie in dem unersetzlichen
Sinn ihres Denkens, der Art ihrer Wahrheit, der Unerläßlichkeit ihres Tuns klar wird.
Erst mit der Wissenschaft gewinnt, im Unterscheiden von ihr, die Philosophie ihre vol-
len Möglichkeiten.
Zusammenfassend lassen sich einige Sätze über das Verhältnis von Wissenschaft
und Philosophie aussprechen. Wenn beide nicht zusammenfallen, die Philosophie
nicht auch eine Wissenschaft neben den andern ist, vielmehr beide wesensverschie-
denen Ursprung, Methode, Wahrheitssinn haben, so sind doch beide schließlich mit-
einander im Bunde.
a) Die Wissenschaft verhält sich zur Philosophie. Wissenschaft wehrt sich gegen die
Verwirrung durch Vermischung mit | Philosophie, wendet sich gegen Spekulation als 60
eine Störung durch leere Bemühungen, entwickelt eine für sie typische Philosophie-
feindschaft.
Aber Wissenschaft vermag auch ihre eigenen Grenzen zu erkennen. Da sie nicht
alle Wahrheit ergreift, gibt sie der Philosophie freien Raum auf deren eigenem Felde, sie
weder bejahend noch verneinend, sondern sie in ihrem Denken nicht störend, so lange
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften