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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0400
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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kratische Beziehung ohne Autorität, auf gleichem Niveau, ist auch zwischen Professor
und Student die der Idee entsprechende. Aber diese Beziehung ist mit strengem, gegen-
seitigem Anspruch | verbunden. Es gilt überall nur geistige, sich selbst wählende und 87
bewährende Aristokratie. Wir leben miteinander unter der Voraussetzung, gegenseitig
in uns an das höchste Können und die Idee zu appellieren. Unser Feind ist die gemüt-
liche Behaglichkeit. Wir haben die ursprüngliche Sehnsucht zu den uns Überlegenen.
Die Liebe zum großen Manne, dessen Existenz der Anspruch an uns ist, beflügelt uns.
Und doch bleibt überall die Beziehung sokratisch. Niemand wird unfehlbare Autori-
tät. Selbständigkeit und Freiheit hat noch das Sandkorn gegenüber dem Felsen. Auch
das Sandkorn ist Substanz. Die Geltung der geistigen Aristokratie bedeutet für den Ein-
zelnen entscheidend Anspruch gegen sich selbst, nicht Überlegenheit und Anspruch
gegen andere. Das Grundbewußtsein des Einzelnen als Gliedes der Universität, des Pro-
fessors und des Studenten, ist, daß er arbeiten und sich anstrengen soll, als ob er zu
Höchstem berufen sei, aber daß er dauernd unter dem Druck steht, ob er sich bewäh-
ren wird. Es ist das beste, in dieser Hinsicht der Selbstreflexion keinen breiten Raum zu
geben, aber auch keine Anerkennung von außen zu beanspruchen.
Man hat wohl gesagt, die Studenten sollten Führer des Volkes werden, und man hat
sogar den wunderlichen Begriff einer Führerhochschule geprägt.82 Das liegt nicht in
der Idee der Universität. Führer kommen aus allen Ständen und Schichten. Sachkunde
wird nicht nur an der Universität erworben. Die akademische Bildung gibt hier kein
Vorrecht. Man möchte wohl vom Führer »Geistigkeit« fordern. Aber faktisch sind die
Führer oft von anderer Qualität. Die Welt ist nicht der platonische Philosophenstaat.
Machtwille, Entschlossenheit, Umsicht, Augenmaß für gegenwärtig konkrete Realitä-
ten, praktische Übung und Erfolg, besondere Charaktereigenschaften sind das Ent-
scheidende. Führer können auch aus den Kreisen akademischer Bildung kommen. Je-
doch ist der allgemeine Typus akademischer Berufe kein Führertypus. Der Seelsorger,
der Arzt, der Lehrer sind wohl »Führer« in einem begrenzten Sinn, entweder durch for-
male Autorität (die mit der Universitätsidee nichts zu tun hat), solange sie in der Ge-
sellschaft anerkannt wird, oder durch ihre Menschlichkeit und Geistigkeit, die sich
durchsetzt, aber auch immer wieder in Frage gestellt wird; oder durch Sachkunde, die
sich nützlich erweist, in den Sphären dieser Sachkunde.

| 3. Kommunikation

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Die Universität bringt Menschen zusammen, die wissenschaftlich erkennen und gei-
stig leben. Der ursprüngliche Sinn der Universitas als Gemeinschaft der Lehrer und
Schüler ist ebenso wichtig wie der Sinn der universalen Einheit der Wissenschaften.
In der Idee der Universität liegt die Aufgabe grenzenlosen Sichinbeziehungsetzens, um
dem Einen des Ganzen sich zu nähern. Nicht nur innerhalb der Sachgebiete der Wis-
senschaften, sondern auch im wissenschaftlich-persönlichen Leben fordert die Idee
 
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