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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0412
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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des Verstandes bestätigt werden, der Gehorsam gegen etwas, das in seiner Absurdität
doch als Erscheinung in der Welt in Aussagen und Urteilen da ist, das rechte Leben sein.
In der Jurisprudenz ist der Boden die Wirklichkeit der positiven Rechtsordnung.
Diese soll als sinnvoll verstanden und in widerspruchslosen Zusammenhang gebracht
werden. Ein natürliches Recht ist zwar kein fester Maßstab, aber eine Idee. Aus diesem
Boden geht bei Verlust der Rechtsidee der Abfall in die Bodenlosigkeit der Rechtswill-
kür. Dann gilt das Positive einfach, weil eine Staatsmacht es gesetzt hat und man für
immer sich zu unterwerfen hat. Das Widerspruchsvolle und das | Unrechte gilt nicht 104
mehr als Einwand. Das Rechtswidrige wird juristisch begründet. Gewalt herrscht dann
auch in diesem Denken statt Vernunft.
Umgekehrt sinkt eine Jurisprudenz ohne den positiven Rechtsboden eines ge-
schichtlichen Staatswesens ins Nichts idealer Geltungen.
In der Medizin ist der Boden der Wille zur Förderung des Lebens und der Gesund-
heit jedes Menschen als Menschen in seiner Artung. Es gibt keine Einschränkung. Der
Wille zum Helfen und Heilen trifft zunächst und immer den Einzelnen und alle nur,
sofern - bei der öffentlichen Hygiene - die Einzelnen davon Vorteil haben, kein Ein-
zelner einen leiblichen Nachteil hat.
Aber die Sorge für die Gesundheit ist insofern nicht eindeutig, als der Begriff der
Gesundheit selber als Ziel des Menschen keineswegs eindeutig ist. Die Erfüllung der
ärztlichen Aufgabe bleibt in einer Spannung.
Aber sie wird bodenlos bei Preisgabe des Gesundheitsziels als absoluten Rechts jedes
Einzelnen: Wird z.B. eine bestimmte Artung bevorzugt oder wird ein besonderes leib-
liches Moment des Menschseins vor den Wert des Lebens jedes einzelnen Menschen
im Ganzen gestellt, dann gibt es Gründe, zum vermeintlichen Vorteil der Gesamtheit
Gesundheit und Leben Einzelner medizinisch zu schädigen. Man kommt unter dem
Namen Euthanasie zum Mord der Geisteskranken, der Idioten, zur Zwangssterilisie-
rung solcher, von denen man ungünstige Vererbungschancen erwartet.253
In den drei oberen Fakultäten sind also im Boden eines durch Vernunft nicht bis
in den Grund Durchschaubaren doch die Vernunft in der Theologie, das Naturrecht
(Gerechtigkeit) in der Jurisprudenz, das Leben als solches und seine Gesundheit un-
umgängliche Maßstäbe, wenn das Forschen und Tun dieser Fakultäten Sinn behalten
soll. Daß in Offenbarung, positivem Recht, menschlicher Artung, wie sie ist, dunkle,
ins Grenzenlose erhellbare, aber zuletzt auch immer unerhellte Mächte bleiben, gibt
dem Forschen Gehalt und Bewegung.
Wie wahr von vornherein die Wurzeln der drei Fakultäten in Daseinsbereichen des
Menschen getroffen sind, zeigt ihr Bestehen bis heute. Sie leben trotz radikaler Ver-
wandlungen | nicht nur unserer Welt, sondern des Wissens und Forschens seit dem 105
Mittelalter.
Diese Verwandlungen aber zeigen sich zunächst schon radikal in der philosophi-
schen Fakultät. Sie bereitete ursprünglich nicht auf einen bestimmten Beruf vor, son-
 
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