Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0413
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
338

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

dern sie war ihrem Sinne nach die Vorschule für alle andern - die oberen - Fakultäten.
Heute ist sie Grundlage der gesamten Universität, das Licht für alle anderen Fakultä-
ten, und selber Boden einer Reihe von besonderen Berufen geworden. Sie umfaßt für
sich allein alle Wissenschaften. Die drei andern Fakultäten haben ihren wissenschaft-
lichen Sinn aus der Berührung mit den Grundwissenschaften, die in der philosophi-
schen Fakultät zusammengefaßt sind. So ist die philosophische Fakultät, wenn man
allein auf Forschung und Theorie den Blick richtet, für sich schon die gesamte Univer-
sität. Eine Einteilung der Wissenschaften, die alles, was Gegenstand in der philosophi-
schen Fakultät wird, umfaßt, wäre vollständig.
Sowohl die Einzigartigkeit der philosophischen Fakultät wie ihre Einheit gerieten
im Laufe des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit oder doch Unklarheit. Man ließ die
Fakultät sich spalten, in eine geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche
Fakultät (die Namen wurden verschieden gewählt: philosophische und mathematisch-
naturwissenschaftliche, philosophisch-historische und philosophisch-naturwissen-
schaftliche Fakultät). Die Tendenzen zur Abspaltung gingen weiter, z.B. einer wirtschafts-
wissenschaftlichen Fakultät. Und man sah die Fakultäten überhaupt nicht mehr als
einen organischen Bau, sondern als ein Nebeneinander. So ging der Sinn der Einheit
der Universität verloren. Die Universität wurde für das Bewußtsein der in ihr Leben-
den in der Tat ein Aggregat.
Die Motive für die Spaltung waren mehrere: Der Umfang der alten Fakultät (sie um-
faßt mehr Professoren als die drei anderen Fakultäten zusammen); der Riß zwischen
Natur- und Geisteswissenschaften, der bis zur Entfremdung des Nichtverstehens und
der gegenseitigen abschätzigen Beurteilung ging; die Ausbildung zu verschiedenen Be-
rufen: Lehrer, Diplomchemiker, Diplomphysiker und Diplomgeologe, Diplomvolks-
wirt, Diplompsychologe.

106 | b) Die Ausdehnung der Universität
Die Auflösung der philosophischen Fakultät war nur der Anfang.
In der modernen Welt richtete die Universität fortlaufend Anstalten und Lehrbe-
triebe ein für neue Bedürfnisse der Gesellschaft, entweder technische Spezialitäten,
oder Zusammenfassungen für bestimmte Berufszwecke, die eine besondere Lehrver-
tretung verlangen. Die Ausdehnung der Universität wurde ein unaufhaltsamer Prozeß.
Darin liegt ein Sinn: alles menschliche Tun ist wissendes Tun; wo immer Wissen erfor-
derlich ist, da geht an die Universität die Forderung, es zur Entfaltung zu bringen und
zu lehren.
Aber die Folge war nicht selten ein beziehungsloses Nebeneinander beliebiger Fä-
cher. Astronomie und Betriebswissenschaft, Philosophie und Hotelfachwesen stehen
schließlich auf gleicher Ebene eines endlos vielfachen Aggregats.
Demgegenüber wäre eine rein negative Haltung nur unfruchtbare Überheblichkeit.
Die Idee der Universität verlangt Aufgeschlossenheit. Es gibt nichts, das nicht wissens-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften