Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0417
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
342

Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Es ist, als ob alles darauf warte, hineingenommen zu werden in den einen Strom
der Technisierung, der für uns, historisch nicht zureichend begreiflich, fast plötzlich
vor hundertfünfzig Jahren zu fließen begann und bis heute noch immer steigend all-
überflutend anschwoll. Jetzt ist uns zumute, als ob dieses ungeheuere Phänomen aus
metaphysischem Ursprung käme und fordere, daß alles, was leben will, in seinen Sinn
in eintreten | soll. Es ist, als ob etwas erwachen müßte, was noch immer im Halbschlum-
mer liegt oder was durch den Vordergrund des technischen Einzelkönnens bis jetzt
noch zum Schweigen veranlaßt wurde oder was in dunklem Bewußtsein Entsetzen und
Ablehnung erzeugte (in Goethe und J. Burckhardt).
Vielleicht ist das Heil des Menschen davon abhängig, daß die Idee der Universität
und die Technik sich treffen. Vielleicht würde der Technik und der durch sie entstan-
denen Zerstreutheit eine Durchseelung mit Sinn und Ziel zuteil; vielleicht würde aus
der Universitätsidee eine Offenheit, Wahrhaftigkeit und Gegenwärtigkeit möglich, in
der diese Idee sich bewährt, indem die Universität selber sich eine neue Gestalt gibt.
Nur dann, wenn ein neuer Aufschwung der alten Universitätsidee in den Forschern
die Größe der Aufgabe fühlbar macht, ist eine Hoffnung, daß die Eingliederung der
technischen Hochschule als technische Fakultät fruchtbar würde. Nur dann, wenn der
Antrieb, der dazu führt, in allen Fakultäten sich auswirkte, würde mit der Eingliede-
rung zugleich eine geistige Erneuerung der ganzen Universität erfolgen, von der die
Eingliederung der technischen Fakultät nur ein Teil wäre. Die Größe der Aufgabe, das
ist die Schaffung des wirklich umfassenden Bewußtseins des Zeitalters, seines Wissens
und Könnens, ist die Verwandlung zur zukünftigen Universität.
Eine technische Fakultät wäre an der Universität etwas Neues, das nicht nur ein
schon Gegebenes eingliedern, sondern etwas früher nie Geahntes an der Universität
hervorbringen müßte.401 Die weltgeschichtliche Lebensfrage der Menschheit, wie aus
der Technik mit ihr die jetzt mögliche Lebensform erwächst, wird erst zu vollem Be-
wußtsein kommen. Dann werden Wege und Möglichkeiten sichtbar. Niemand weiß,
aus welchen Fakultäten die stärksten Antriebe dazu kommen werden, wenn erst die
Aufgabe in ständiger Berührung der Forscher miteinander zu wirklichem geistigen
Leben wird.
Wir sahen in jeder der drei alten, oberen Fakultäten die Eigenständigkeit eines Le-
bensgebietes. Daher hatte auch jede der Spezialfakultäten, weil eine eigene Vorausset-
zung, ihr eigenes Unheil, wenn diese Voraussetzung ausbleibt: Die Theologie aus dem
112 Geheimnis der Offenbarung den Sturz ins Absurde und | in Ketzerzwang - die Jurispru-
denz aus dem Positivismus des Rechtsdenkens den Sturz in die rechtliche Begründung
des Rechtlosen in Willkür und Gewalt - die Medizin aus dem unbegründbaren Heil-
willen in den Geisteskrankenmord. So hat auch die technische Fakultät Boden oder
Bodenlosigkeit. Man hört von der Besinnung altgewordener Techniker, die ein Entset-
zen ergriff angesichts dessen, was sie unwissentlich und ohne Willen angerichtet ha-
ben dadurch, daß sie es möglich machten.256 Man hört von der Öde technischer Ar-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften