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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0462
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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scheint. Auch die meisten der bisher gemachten Reformvorschläge kreisen um dieses
Problem. Denn die angesichts des Versagens der gegenwärtigen Universitätsstruktur
sich zeigende Reformalternative heute ist zumeist die einer Universität entweder als
überwiegend Forschungs- oder als überwiegend Schulanstalt. Damit aber hat sich am
Ende des geschichtlichen Weges der Bildungsuniversität scheinbar jene Ausgangssi-
tuation wieder hergestellt, in der zu deren Beginn vor hundertfünfzig Jahren Wilhelm
von Humboldt gegen die damals vorherrschende Tendenz, auf die Universität im tra-
ditionellen Sinne zu Gunsten von wissenschaftlichen Fachschulen und Forschungs-
anstalten überhaupt zu verzichten, sein Universitätskonzept entworfen hat.
Man identifiziert heute zumeist Wilhelm von Humboldts Universitätskonzept mit
jenem auf halbem Wege stehen gebliebenen Versuch seiner ersten Verwirklichung, der
Berliner Universitätsgründung, die dann zum Modell der Bildungsuniversität des vo-
rigen Jahrhunderts wurde. Darüber ist der schlechthin revolutionäre Sinn von Hum-
boldts Universitätskonzeption verkannt und vergessen worden. Denn Humboldts
Konzept erschöpft sich nicht mit dem Gedanken der Bildungsuniversität idealistisch-
humanistischer Prägung, sondern stellt den ersten, heute noch verbindlichen Entwurf
einer dem Geist der modernen Wissenschaftlichkeit entsprechenden Universitätsge-
stalt dar. Mit dem grundsätzlichen Postulat der Freiheit und | Einheit von Forschung
und Lehre69 hat Wilhelm von Humboldt diesem Geiste zum ersten Male eine ihm
adaequate institutionelle Form zu verleihen unternommen. Die Prinzipien seiner
Denkschrift »Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftli-
chen Anstalten in Berlin«416 bedeuten nichts geringeres als die Proklamation der
Grundrechte einer bis heute noch nicht verwirklichten modernen Universität.
Nicht der zeitgebundene Bildungshumanismus, dessen Sprache Humboldt sich ge-
legentlich, aber niemals grundsätzlich bediente, sondern das von ihm zuerst zum Prin-
zip erhobene Postulat der Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre als Bedingung
der freien Entfaltung des Geistes moderner Wissenschaftlichkeit bildet in seinem Kon-
zept die Voraussetzung der inneren wie der äußeren Einheit der Universität als leben-
dige Mitte der Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen. Wenn Wilhelm
von Humboldt forderte, jeder Bürger, auch der Schuster, müsse einige griechische Vo-
kabeln kennen,417 so bedeutet das seinem Wahrheitssinn nach, daß jeder Mensch der
modernen Gesellschaft an dem Geiste der ihre Daseinsformen prägenden Wissen-
schaftlichkeit partizipieren solle. Derart bestimmte er die Universität als die lebendige
geistige Mitte von Staat und Gesellschaft.
Ihre institutionelle Verwirklichung aber fand Humboldts Universitätskonzeption
im Rahmen der mit seinem Namen verknüpften Bildungsuniversität nur in Ansätzen.
Denn die innere und äußere Strukturform der überlieferten Universität als Gelehrten-
republik418 blieben im wesentlichen erhalten. Es blieb bei ihrer Einteilung in die vier
traditionellen Fakultäten, obwohl die Theologie nunmehr ihre frühere Vorrangstel-
lung zugunsten der Philosophie eingebüßt hatte. Die weltanschauliche, idealistische

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