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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0463
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

Philosophie und die unter ihrem Antrieb sich entwickelnden Geistes- und Geschichts-
wissenschaften bestimmten unter stillschweigender Duldung der Naturwissenschaf-
ten und unter Ausschluß der technischen Wissenschaften das geistige Gesicht der Uni-
versität als Bildungsuniversität. Trotz der grundsätzlichen formalen Anerkennung des
Prinzips der Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre war diese Bildungsuniver-
175 sität, die zu ihrer geschichtlichen Stunde sich solch hohes Ansehen errang, | in ihrer
institutionellen Form nichts anderes als die Fortsetzung der alten scholastischen und
späteren landesherrlichen zunftartigen Gelehrtenrepublik unter anderem Vorzeichen,
dem Vorzeichen des Bildungshumanismus der idealistischen Philosophie. Was Hum-
boldt, ohne jedoch ein fertiges Programm zu liefern, gefordert hatte: eine völlig neue
Organisationsform der Universität, wurde bis heute nicht realisiert. Die Universität
verblieb weiterhin vornehmlich Hohe Schule als Unterrichts- und Ausbildungsstätte
für die staatlich sanktionierten wissenschaftlichen Berufe.
Humboldt dagegen ging es um die Einrichtung einer den Geist der modernen Wis-
senschaftlichkeit allseitig repräsentierenden und zur Geltung bringenden Universi-
tätsgestalt in deren strikter Unterscheidung von jeder Form der Schule. Seiner Kon-
zeption liegt jener Begriff der modernen Wissenschaft zugrunde, dem an der früheren
Universität kein oder ein nur widerwillig zugestandener Platz gegönnt war. Das gilt zu-
mal für die moderne Naturwissenschaft, die nicht nur außerhalb der scholastischen
Universität entstanden war, sondern erst im späten 17. Jahrhundert und zumeist unter
dem Namen der Philosophie vereinzelt in die Universität Eingang fand. Das änderte
sich in Deutschland erst mit der Gründung der Göttinger Universität,419 deren Orga-
nisationsplan für Humboldt anregend wurde. Aber auch in der Bildungsuniversität
nach dem Berliner Modell fanden die Naturwissenschaften anfänglich nur gedulde-
termaßen ihren Platz in der Philosophischen Fakultät, um sich dann später zumeist -
bei Versagen des gemeinsamen Geistes dieser Fakultät - zusammen mit der Mathema-
tik in einer eigenen Fakultät zu etablieren.
Für Humboldt hat die Universität als Mitte der Wissenschaftsorganisation ihren
Platz zwischen den höheren Schulen und den Akademien. Sie dient der Vermittlung
der »Wissenschaft als Wissenschaft«. Denn »Wissenschaft als Wissenschaft läßt sich
nicht wahrhaftig vortragen, ohne sie jedesmal wieder selbständig aufzufassen«.420 Das
ist für Humboldt die eigentliche Aufgabe der Universität, indem er sich gegen ihre
fälschliche Bestimmung wendet, »nur dem Unterricht und der Verbreitung der Wis-
176 senschaft« zu dienen, während die »Erweiterung« der | Wissenschaft (die Forschung
also) allein den Akademien obliegen solle. Darüber greift er sogar den Gedanken des
möglichen Verzichtes auf die Akademien auf. »Man könnte daher«, argumentiert er,
»die Erweiterung der Wissenschaften den bloßen Universitäten, wenn diese nur ge-
hörig angeordnet wären, anvertrauen, und zu diesem Endzweck der Akademien ent-
raten.«421 Dieser, sein Begriff der Universität, ist jedoch bisher weitgehend unerfülltes
Postulat geblieben.
 
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