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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
gedeiht? Und sollte man daraus nicht den scheinbar so naheliegenden Schluß ziehen,
daß es redlicher sei, auf die Universität überhaupt Verzicht zu leisten, die bestehende
Universität in wissenschaftliche Fachschulen aufzulösen und die Forschung den Aka-
demien, den Forschungsgesellschaften und den Forschungsanstalten zu überlassen?
Würde man sich jedoch dazu entschließen, dann könnte das sinnvoller Weise nur
im Zusammenhang mit einer Reformierung unserer gesamten, gegenwärtig so verwor-
renen, weil kopflos gewordenen und sachlich und funktional in fast allen Bereichen
sich überschneidenden Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen gesche-
hen. Hierüber aber würde sich zwangsläufig das Bedürfnis nach einer freien geistigen
Mitte dieser Organisation, die ihrem Wesen nach die Universität sein sollte, als im
178 Grunde | unabweisbar wieder aufdrängen. Es wäre das gleichsam der indirekte Nach-
weis der Notwendigkeit der Universität, die auch von denen, die ihrer Umwandlung
in eine wissenschaftliche Schul- und Berufsausbildungsanstalt den Vorzug geben, im
Grunde nicht zu leugnen ist.
Faktisch aber stehen wir heute vor der Erfüllung der gleichen Aufgabe, die zuerst
von Wilhelm von Humboldt in ihrer vollen Bedeutung erkannt und gestellt wurde,
und die durch die Bildungsuniversität des vorigen Jahrhunderts nur eine partielle und
deshalb keine wirkliche Lösung erfahren hat.
2. Kritik der bisherigen Reformvorschläge
Die bisher zur Reform der Universität und damit auch für ihre künftige Stellung inner-
halb der Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen gemachten Vorschläge
spielen in verschiedenen Varianten mit drei Grundmöglichkeiten. Deren erste ist die
Umwandlung der jetzigen Universität in ein Sammelinstitut von Fachhochschulen für
die wissenschaftliche Berufsausbildung. Die zweite ist die Wiederherstellung der Bil-
dungsuniversität unter Beschränkung auf die vier traditionellen Fakultäten unter
gleichzeitigem Ausbau des Fachschulwesens außerhalb der Universitäten. Die dritte
ist die Reform der funktionellen Struktur der Universität zur besseren Bewältigung der
immer mehr anwachsenden Ausbildungs- und Forschungsaufgaben. Diesen drei Vor-
schlägen liegen verschiedene, teils divergierende, teils aber auch zusammengehörige
Maßstäbe der Kritik an der bestehenden Universität zugrunde. Es sind dies einmal der
Maßstab der Erfordernisse der Forschung, zum anderen der humanistische Bildungs-
maßstab und dann der Maßstab der wissenschaftlichen Berufsausbildung.
a) Dem Vorschlag der Umwandlung der bestehenden Universität in ein Sammelin-
stitut von Fachhochschulen liegt die Überzeugung zugrunde, daß durch die Speziali-
sierung der Forschungsaufgaben die Einheit von Forschung und Lehre faktisch illuso-
risch geworden sei. Darüber habe sich die Universität bereits seit langem in eine
»Fachschule mit >schlechtem<, nicht mit gutem Gewissen« verwandelt (C.H. Becker,
T79 1918).422 Das ihr eigene Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre habe sich | zu-
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
gedeiht? Und sollte man daraus nicht den scheinbar so naheliegenden Schluß ziehen,
daß es redlicher sei, auf die Universität überhaupt Verzicht zu leisten, die bestehende
Universität in wissenschaftliche Fachschulen aufzulösen und die Forschung den Aka-
demien, den Forschungsgesellschaften und den Forschungsanstalten zu überlassen?
Würde man sich jedoch dazu entschließen, dann könnte das sinnvoller Weise nur
im Zusammenhang mit einer Reformierung unserer gesamten, gegenwärtig so verwor-
renen, weil kopflos gewordenen und sachlich und funktional in fast allen Bereichen
sich überschneidenden Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen gesche-
hen. Hierüber aber würde sich zwangsläufig das Bedürfnis nach einer freien geistigen
Mitte dieser Organisation, die ihrem Wesen nach die Universität sein sollte, als im
178 Grunde | unabweisbar wieder aufdrängen. Es wäre das gleichsam der indirekte Nach-
weis der Notwendigkeit der Universität, die auch von denen, die ihrer Umwandlung
in eine wissenschaftliche Schul- und Berufsausbildungsanstalt den Vorzug geben, im
Grunde nicht zu leugnen ist.
Faktisch aber stehen wir heute vor der Erfüllung der gleichen Aufgabe, die zuerst
von Wilhelm von Humboldt in ihrer vollen Bedeutung erkannt und gestellt wurde,
und die durch die Bildungsuniversität des vorigen Jahrhunderts nur eine partielle und
deshalb keine wirkliche Lösung erfahren hat.
2. Kritik der bisherigen Reformvorschläge
Die bisher zur Reform der Universität und damit auch für ihre künftige Stellung inner-
halb der Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen gemachten Vorschläge
spielen in verschiedenen Varianten mit drei Grundmöglichkeiten. Deren erste ist die
Umwandlung der jetzigen Universität in ein Sammelinstitut von Fachhochschulen für
die wissenschaftliche Berufsausbildung. Die zweite ist die Wiederherstellung der Bil-
dungsuniversität unter Beschränkung auf die vier traditionellen Fakultäten unter
gleichzeitigem Ausbau des Fachschulwesens außerhalb der Universitäten. Die dritte
ist die Reform der funktionellen Struktur der Universität zur besseren Bewältigung der
immer mehr anwachsenden Ausbildungs- und Forschungsaufgaben. Diesen drei Vor-
schlägen liegen verschiedene, teils divergierende, teils aber auch zusammengehörige
Maßstäbe der Kritik an der bestehenden Universität zugrunde. Es sind dies einmal der
Maßstab der Erfordernisse der Forschung, zum anderen der humanistische Bildungs-
maßstab und dann der Maßstab der wissenschaftlichen Berufsausbildung.
a) Dem Vorschlag der Umwandlung der bestehenden Universität in ein Sammelin-
stitut von Fachhochschulen liegt die Überzeugung zugrunde, daß durch die Speziali-
sierung der Forschungsaufgaben die Einheit von Forschung und Lehre faktisch illuso-
risch geworden sei. Darüber habe sich die Universität bereits seit langem in eine
»Fachschule mit >schlechtem<, nicht mit gutem Gewissen« verwandelt (C.H. Becker,
T79 1918).422 Das ihr eigene Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre habe sich | zu-