Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961] 411
dungsuniversität des vorigen Jahrhunderts konnte bei übersichtlichen Verhältnissen
die Bedürfnisse des wissenschaftlichen Unterrichts in gewissem Sinne noch befriedi-
gen. Die fortschreitende Spezialisierung und Institutionalisierung der Forschung bei
gleichzeitiger sprunghafter Vermehrung der Zahl der Studierenden und das keinem
normalen Schulbetrieb zumutbare Zahlenmißverhältnis von Studierenden und Leh-
renden ließ dann dieses zuvor von der Universität zusätzlich mitgetragene Unterrichts-
wesen völlig versagen. Es geriet in Planlosigkeit und Zufälligkeit und wurde teils Hilfs-
assistenten, Assistenten und Lehrbeauftragten überlassen, belastete teils aber auch
Dozenten und Lehrstuhlinhaber, die damit ihrer eigentlichen Aufgabe: der Lehre im
Medium der Forschung, entfremdet wurden. Auf Grund ihres mangelhaften Fakten-
und Bildungswissens, das unter kundiger Leitung übersichtlich sich anzueignen ih-
nen eben keine oder nur zufällige und verstreute Gelegenheit geboten wird, werden
die Studierenden ratlos gegenüber der Freiheit des Studiums. Die fehlenden Wissens-
voraussetzungen lassen sie nicht nur diese Freiheit nicht nutzen, sondern ihr gegen-
über mißtrauisch werden. Sie verstehen und wollen die Freiheit des Studiums nicht
mehr. Ihr Interesse gilt deshalb weit mehr dem in den Prüfungsordnungen vorge-
schriebenen Faktenwissen als dem Studium. Zumeist betrachten sie heute die Univer-
sität als Fortsetzung des Gymnasiums und verlangen ihren Universitätslehrern ab, was
gar nicht deren Aufgabe ist: eine zweckgebundene didaktische Wissensvermittlung.
Diese aber zieht zwangsläufig eine Niveausenkung des Lehrstils wie des Studiums sel-
ber nach sich, der auch mit erhöhten Anforderungen und verschärften Prüfungsbe-
stimmungen nicht Einhalt geboten werden kann. Nur ein dem Studium komplemen-
täres Unterrichtswesen wird hier Abhilfe schaffen können.
| Es ist das bleibende Verdienst der Denkschrift des Hofgeismarer Kreises, zum er-
sten Male das unerläßlich gewordene wissenschaftliche Unterrichtswesen zum aus-
drücklichen Thema der Universitätsreform gemacht zu haben. Der Einsicht in die Vor-
dringlichkeit des Problems des wissenschaftlichen Unterrichtswesens entspricht
jedoch nicht die in der Denkschrift vorgeschlagene Lösung. Denn zur Wahrung der
institutionellen Einheit der Universität im Traditionssinne wird vorgeschlagen, durch
eine Funktionsaufteilung der Lehrkräfte den Unterrichtsbetrieb der Universität selber
einzugliedern statt anzugliedern. An die Stelle des bisherigen unzulänglichen Unter-
richtswesens soll ein möglichst perfektes Unterrichtswesen treten. Was letztlich po-
stuliert wird, ist ein Unterrichtsbetrieb großen Umfangs unter dem Kriterium der Be-
wältigung des Massenandrangs zum Studium und der Ausbildung wissenschaftlicher
Fachkräfte in großer Zahl.437 Gleichsam zusätzlich soll dann diese Unterrichtsanstalt
auch noch Universität im eigentlichen Sinne sein, sofern die Aufgaben von Forschung
und Lehre einer kleinen »Spitzengruppe« des Lehrkörpers vorbehalten bleiben, die je-
doch zugleich auch noch mit der Beaufsichtigung des Unterrichtsbetriebs belastet ist.
Diese, die eigentliche Universität repräsentierende kleine »Spitzengruppe« des Lehr-
körpers aber würde ein ganz isoliertes Dasein führen, ein Dasein zwischen Ohnmacht
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dungsuniversität des vorigen Jahrhunderts konnte bei übersichtlichen Verhältnissen
die Bedürfnisse des wissenschaftlichen Unterrichts in gewissem Sinne noch befriedi-
gen. Die fortschreitende Spezialisierung und Institutionalisierung der Forschung bei
gleichzeitiger sprunghafter Vermehrung der Zahl der Studierenden und das keinem
normalen Schulbetrieb zumutbare Zahlenmißverhältnis von Studierenden und Leh-
renden ließ dann dieses zuvor von der Universität zusätzlich mitgetragene Unterrichts-
wesen völlig versagen. Es geriet in Planlosigkeit und Zufälligkeit und wurde teils Hilfs-
assistenten, Assistenten und Lehrbeauftragten überlassen, belastete teils aber auch
Dozenten und Lehrstuhlinhaber, die damit ihrer eigentlichen Aufgabe: der Lehre im
Medium der Forschung, entfremdet wurden. Auf Grund ihres mangelhaften Fakten-
und Bildungswissens, das unter kundiger Leitung übersichtlich sich anzueignen ih-
nen eben keine oder nur zufällige und verstreute Gelegenheit geboten wird, werden
die Studierenden ratlos gegenüber der Freiheit des Studiums. Die fehlenden Wissens-
voraussetzungen lassen sie nicht nur diese Freiheit nicht nutzen, sondern ihr gegen-
über mißtrauisch werden. Sie verstehen und wollen die Freiheit des Studiums nicht
mehr. Ihr Interesse gilt deshalb weit mehr dem in den Prüfungsordnungen vorge-
schriebenen Faktenwissen als dem Studium. Zumeist betrachten sie heute die Univer-
sität als Fortsetzung des Gymnasiums und verlangen ihren Universitätslehrern ab, was
gar nicht deren Aufgabe ist: eine zweckgebundene didaktische Wissensvermittlung.
Diese aber zieht zwangsläufig eine Niveausenkung des Lehrstils wie des Studiums sel-
ber nach sich, der auch mit erhöhten Anforderungen und verschärften Prüfungsbe-
stimmungen nicht Einhalt geboten werden kann. Nur ein dem Studium komplemen-
täres Unterrichtswesen wird hier Abhilfe schaffen können.
| Es ist das bleibende Verdienst der Denkschrift des Hofgeismarer Kreises, zum er-
sten Male das unerläßlich gewordene wissenschaftliche Unterrichtswesen zum aus-
drücklichen Thema der Universitätsreform gemacht zu haben. Der Einsicht in die Vor-
dringlichkeit des Problems des wissenschaftlichen Unterrichtswesens entspricht
jedoch nicht die in der Denkschrift vorgeschlagene Lösung. Denn zur Wahrung der
institutionellen Einheit der Universität im Traditionssinne wird vorgeschlagen, durch
eine Funktionsaufteilung der Lehrkräfte den Unterrichtsbetrieb der Universität selber
einzugliedern statt anzugliedern. An die Stelle des bisherigen unzulänglichen Unter-
richtswesens soll ein möglichst perfektes Unterrichtswesen treten. Was letztlich po-
stuliert wird, ist ein Unterrichtsbetrieb großen Umfangs unter dem Kriterium der Be-
wältigung des Massenandrangs zum Studium und der Ausbildung wissenschaftlicher
Fachkräfte in großer Zahl.437 Gleichsam zusätzlich soll dann diese Unterrichtsanstalt
auch noch Universität im eigentlichen Sinne sein, sofern die Aufgaben von Forschung
und Lehre einer kleinen »Spitzengruppe« des Lehrkörpers vorbehalten bleiben, die je-
doch zugleich auch noch mit der Beaufsichtigung des Unterrichtsbetriebs belastet ist.
Diese, die eigentliche Universität repräsentierende kleine »Spitzengruppe« des Lehr-
körpers aber würde ein ganz isoliertes Dasein führen, ein Dasein zwischen Ohnmacht
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