Stellenkommentar
463
36 Die Gehäusemetapher ist ein wichtiger Bestandteil des begrifflichen Instrumentariums der
Jaspers’schen Weltanschauungspsychologie. Das Gehäuse wird von Jaspers als ein Wesens-
zug der Weltbilder (vgl. Stellenkommentar Nr. 31) verstanden, der sie als sinngebenden
»Halt« für das geistige Leben des Menschen auszeichnet. Er spricht aus diesem Grund auch
von den Gehäusen als »Halt im Begrenzten« (Psychologie der Weltanschauungen, 304-308).
Jaspers hat den Begriff des Gehäuses, der für ihn als Synonym für die Einengung des Geis-
teslebens und die Dogmatisierung von Weltbildern steht, in seiner negativen Konnotation
von Max Weber übernommen, der ihn u.a. zur Beschreibung der kapitalistischen Wirt-
schafts- und Lebensordnung sowie der Bürokratie verwendet hatte (vgl. ders.: Gesammelte
Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 91988,203; vgl. hierzu auch: H. Stelzer: »Karl
Jaspers und der Begriff des Gehäuses«, in: H. R. Yousefi u.a. [Hg.]: Karl Jaspers. Grundbegriffe
seines Denkens, Reinbek bei Hamburg 2011,169-179, bes. 170-171).
37 Der Gedanke der »kämpfenden Liebe« als kommunikativer Prozess ohne strategische Len-
kung und Machtgefälle wurde von Jaspers als »Kampf in der Liebe« bereits im Vortragsma-
nuskript »Einsamkeit« artikuliert (ebd., 397). In der Psychologie der Weltanschauungen ist
diese Wortverwendung mit einer dezidiert existenzphilosophischen Konnotation verse-
hen (ebd., 125). Im Hauptwerk Philosophie [1932] stellt Jaspers den Prozess folgendermaßen
dar: »[D]ie kämpfende Liebe [...] stellt in Präge, macht schwer, fordert, ergreift aus mögli-
cher Existenz die andere mögliche Existenz« (Philosophie II, 65). Insbesondere die Bereit-
schaft, sich durch den anderen radikal in Präge stellen zu lassen, stellt für Jaspers eine
Grundbedingung des »liebenden Kampfes« dar.
38 Gemeint ist die von Platon (427-347 v.Chr.) entwickelte Utopie eines auf philosophischen
Idealen fußenden Staatswesens, die er in seinem Dialog Politeia (dt.: Der Staat) dargelegt hat.
39 Jaspers orientiert sich bei seinem Verständnis der scholastischen Erziehung an Johann Gott-
lieb Fichte und dessen Kritik an der traditionellen universitären Lehre. Nach Fichte bestand
zur Zeit der Abfassung seines Deducirten Plans 1807 die Tendenz, Buchinhalte lediglich zu
rezitieren, und nicht etwa darin, neue Inhalte zu vermitteln. Die universitäre Lehre lenke
deshalb vom wissenschaftlich gehaltvolleren »eigene[n] Studiren der Bücher« ab (J. G.
Fichte: Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt, die in gehöriger Ver-
bindung mit einer Akademie der Wissenschaften stehe [GA Il/n, 81-171, 84]).
40 Lat. für »überliefern«. Mit dem »tradere« spielt Jaspers auf eine bloße Weitergabe kanoni-
sierter Wissensbestände an, die keinen Raum für kritische Auseinandersetzung und Fort-
entwicklung vorsieht.
41 Das Zitat stammt aus Goethes Faust 1 und lautet vollständig: »Denn was man schwarz auf
weiß besitzt, / Kann man getrost nach Hause tragen« (WA I/14, 92).
42 Die Verwendung dieses Begriffs ist in universitären Kontexten eher unüblich. Für gewöhn-
lich wird er zur Bezeichnung eines spezifischen Lehrer-Schüler-Verhältnisses im künstleri-
schen Unterricht gebraucht. Obwohl Jaspers im Zusammenhang mit der Meistererziehung
Jacob Burckhardt nennt, wird der Begriff von Burckhardt nicht verwendet.
43 Die vollständige Quellenangabe lautet: J. Burckhardt: »Pythagoras«, in: ders.: Vorträge 1844-1887,
hg. von E. Dürr, Basel 2i9i8,228-249; vgl. zur Person Burckhardts: Stellenkommentar Nr. 156.
44 Die sog. »sokratische Erziehungsform« wurde bereits von Fichte und Schleiermacher als ein-
zige der Universität angemessene pädagogische Interaktionsform angesehen (vgl. J. G. Fichte:
Deducirter Plan, 89; F. D. E. Schleiermacher: Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deut-
schem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende [sic], KGA1/6,15-100, 48).
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36 Die Gehäusemetapher ist ein wichtiger Bestandteil des begrifflichen Instrumentariums der
Jaspers’schen Weltanschauungspsychologie. Das Gehäuse wird von Jaspers als ein Wesens-
zug der Weltbilder (vgl. Stellenkommentar Nr. 31) verstanden, der sie als sinngebenden
»Halt« für das geistige Leben des Menschen auszeichnet. Er spricht aus diesem Grund auch
von den Gehäusen als »Halt im Begrenzten« (Psychologie der Weltanschauungen, 304-308).
Jaspers hat den Begriff des Gehäuses, der für ihn als Synonym für die Einengung des Geis-
teslebens und die Dogmatisierung von Weltbildern steht, in seiner negativen Konnotation
von Max Weber übernommen, der ihn u.a. zur Beschreibung der kapitalistischen Wirt-
schafts- und Lebensordnung sowie der Bürokratie verwendet hatte (vgl. ders.: Gesammelte
Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 91988,203; vgl. hierzu auch: H. Stelzer: »Karl
Jaspers und der Begriff des Gehäuses«, in: H. R. Yousefi u.a. [Hg.]: Karl Jaspers. Grundbegriffe
seines Denkens, Reinbek bei Hamburg 2011,169-179, bes. 170-171).
37 Der Gedanke der »kämpfenden Liebe« als kommunikativer Prozess ohne strategische Len-
kung und Machtgefälle wurde von Jaspers als »Kampf in der Liebe« bereits im Vortragsma-
nuskript »Einsamkeit« artikuliert (ebd., 397). In der Psychologie der Weltanschauungen ist
diese Wortverwendung mit einer dezidiert existenzphilosophischen Konnotation verse-
hen (ebd., 125). Im Hauptwerk Philosophie [1932] stellt Jaspers den Prozess folgendermaßen
dar: »[D]ie kämpfende Liebe [...] stellt in Präge, macht schwer, fordert, ergreift aus mögli-
cher Existenz die andere mögliche Existenz« (Philosophie II, 65). Insbesondere die Bereit-
schaft, sich durch den anderen radikal in Präge stellen zu lassen, stellt für Jaspers eine
Grundbedingung des »liebenden Kampfes« dar.
38 Gemeint ist die von Platon (427-347 v.Chr.) entwickelte Utopie eines auf philosophischen
Idealen fußenden Staatswesens, die er in seinem Dialog Politeia (dt.: Der Staat) dargelegt hat.
39 Jaspers orientiert sich bei seinem Verständnis der scholastischen Erziehung an Johann Gott-
lieb Fichte und dessen Kritik an der traditionellen universitären Lehre. Nach Fichte bestand
zur Zeit der Abfassung seines Deducirten Plans 1807 die Tendenz, Buchinhalte lediglich zu
rezitieren, und nicht etwa darin, neue Inhalte zu vermitteln. Die universitäre Lehre lenke
deshalb vom wissenschaftlich gehaltvolleren »eigene[n] Studiren der Bücher« ab (J. G.
Fichte: Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt, die in gehöriger Ver-
bindung mit einer Akademie der Wissenschaften stehe [GA Il/n, 81-171, 84]).
40 Lat. für »überliefern«. Mit dem »tradere« spielt Jaspers auf eine bloße Weitergabe kanoni-
sierter Wissensbestände an, die keinen Raum für kritische Auseinandersetzung und Fort-
entwicklung vorsieht.
41 Das Zitat stammt aus Goethes Faust 1 und lautet vollständig: »Denn was man schwarz auf
weiß besitzt, / Kann man getrost nach Hause tragen« (WA I/14, 92).
42 Die Verwendung dieses Begriffs ist in universitären Kontexten eher unüblich. Für gewöhn-
lich wird er zur Bezeichnung eines spezifischen Lehrer-Schüler-Verhältnisses im künstleri-
schen Unterricht gebraucht. Obwohl Jaspers im Zusammenhang mit der Meistererziehung
Jacob Burckhardt nennt, wird der Begriff von Burckhardt nicht verwendet.
43 Die vollständige Quellenangabe lautet: J. Burckhardt: »Pythagoras«, in: ders.: Vorträge 1844-1887,
hg. von E. Dürr, Basel 2i9i8,228-249; vgl. zur Person Burckhardts: Stellenkommentar Nr. 156.
44 Die sog. »sokratische Erziehungsform« wurde bereits von Fichte und Schleiermacher als ein-
zige der Universität angemessene pädagogische Interaktionsform angesehen (vgl. J. G. Fichte:
Deducirter Plan, 89; F. D. E. Schleiermacher: Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deut-
schem Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende [sic], KGA1/6,15-100, 48).