504
Stellenkommentar
gewesen und wurde 1966 Bundeskanzler der ersten sog. »großen Koalition« aus CDU und
SPD in Deutschland. Als Kiesinger am 1. Dezember 1966 zum Nachfolger von Ludwig Er-
hard ernannt wurde, sprach Jaspers mit Blick auf dessen NS-Vergangenheit in einem Inter-
view mit Peter Merseburger, das am 2. Januar 1967 vom Norddeutschen Rundfunk im Rah-
men der Sendung »Panorama« ausgestrahlt wurde, von einem »Affront« und einer
»Beleidigung« der Antifaschisten und Demokraten (vgl. R. de Rosa: »Erläuterungen«, in: K.
Jaspers, K. H. Bauer: Briefwechsel, 115).
454 Kultusminister des Kabinetts Kiesinger war 1960/61 der Pädagoge und Literaturwissen-
schaftler Gerhard Storz.
455 Lat. für »wessen Gebiet, dessen Religion«. Die Formel geht auf den Rechtswissenschaftler
Joachim Stephani zurück, der sie 1555 im Zusammenhang mit den Verhandlungen über
den »Augsburger Religionsfrieden« prägte. Ihr zufolge ist der Fürst eines Landes berechtigt,
Kirche und religiöses Bekenntnis der Bevölkerung vorzugeben (vgl. K.-H. Kästner: »Cuius
regio eius religio«, in: A. Cordes u.a. [Hg.]: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,
Bd. I, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2008, Sp. 913-916).
456 Dieser Grundsatz findet sich in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland.
457 Lujo (eigtl. Ludwig Joseph) Brentano (1844-1931) war Nationalökonom mit Professuren in
Breslau, Straßburg, Wien, Leipzig und München. Brentano gilt als ein führender Vertreter
des sozialen Liberalismus und orientierte sich an humanistischen und aufklärerischen Ide-
alen. Sein Wirken war vor allem auf die materielle und geistige Wohlfahrt der Arbeiter aus-
gerichtet. Als Rektor der Universität München war Brentano 1901 zusammen mit Theodor
Mommsen die treibende Kraft beim Protest zahlreicher Universitätsprofessoren gegen das
Eingreifen der Regierung im »Fall Spahn« (siehe Stellenkommentar Nr. 458). Hauptwerke:
Die Arbeitergilden der Gegenwart (2 Bde. 1871/72); Der wirtschaftende Mensch in der Geschichte.
Gesammelte Reden und Aufsätze (1923); Eine Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung Eng-
lands (3 Bde., 1927-1929).
458 Vgl. hierzu: Die Idee der Universität [1961], in diesem Band, 301, Fußnote Nr. i. Rossmann
hatte sich in seinem Buch Wissenschaft, Ethik und Politik. Erörterung des Grundsatzes der Vor-
aussetzungslosigkeit in der Forschung (Heidelberg 1949) eingehend mit dem »Fall Spahn« an
der damaligen Reichsuniversität Straßburg (1901) sowie den Reaktionen Brentanos und
Mommsens auseinandergesetzt. Der Fall hatte große Empörung unter der deutschen Pro-
fessorenschaft hervorgerufen und wurde als staatlicher Eingriff in die Selbstverwaltung
der Universität und die Freiheit von Forschung und Lehre verurteilt. Auf Anordnung der
Regierung war der Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Straß-
burg in einen Doppellehrstuhl mit einem katholischen und einem protestantischen Histo-
riker umgewandelt worden. Als Vertreter des protestantischen Ordinariats hatte die Regie-
rung unter der Führung von Friedrich Althoff (vgl. zu Althoff: Einleitung zu diesem Band,
Fußnote Nr. 27) den von der Fakultät an dritter Stelle vorgeschlagenen Friedrich Meinecke
berufen, als Vertreter des »katholischen« Lehrstuhls den nationalkonservativen Rechtska-
tholiken Martin Spahn. Die Fakultät sah im Vorgehen der Regierung einen gewaltsamen
Eingriff in ihre Rechte; ihre Eingabe beim Kaiser blieb jedoch ohne Antwort. Als Reaktion
auf diese Vorgänge bemühte sich Lujo Brentano, damals Rektor der Universität München,
darum, eine allgemeine Protestaktion der deutschen Gelehrten zu organisieren, und konnte
hierfür den äußerst prominenten Althistoriker Theodor Mommsen gewinnen. Der »Fall
Stellenkommentar
gewesen und wurde 1966 Bundeskanzler der ersten sog. »großen Koalition« aus CDU und
SPD in Deutschland. Als Kiesinger am 1. Dezember 1966 zum Nachfolger von Ludwig Er-
hard ernannt wurde, sprach Jaspers mit Blick auf dessen NS-Vergangenheit in einem Inter-
view mit Peter Merseburger, das am 2. Januar 1967 vom Norddeutschen Rundfunk im Rah-
men der Sendung »Panorama« ausgestrahlt wurde, von einem »Affront« und einer
»Beleidigung« der Antifaschisten und Demokraten (vgl. R. de Rosa: »Erläuterungen«, in: K.
Jaspers, K. H. Bauer: Briefwechsel, 115).
454 Kultusminister des Kabinetts Kiesinger war 1960/61 der Pädagoge und Literaturwissen-
schaftler Gerhard Storz.
455 Lat. für »wessen Gebiet, dessen Religion«. Die Formel geht auf den Rechtswissenschaftler
Joachim Stephani zurück, der sie 1555 im Zusammenhang mit den Verhandlungen über
den »Augsburger Religionsfrieden« prägte. Ihr zufolge ist der Fürst eines Landes berechtigt,
Kirche und religiöses Bekenntnis der Bevölkerung vorzugeben (vgl. K.-H. Kästner: »Cuius
regio eius religio«, in: A. Cordes u.a. [Hg.]: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,
Bd. I, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2008, Sp. 913-916).
456 Dieser Grundsatz findet sich in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik
Deutschland.
457 Lujo (eigtl. Ludwig Joseph) Brentano (1844-1931) war Nationalökonom mit Professuren in
Breslau, Straßburg, Wien, Leipzig und München. Brentano gilt als ein führender Vertreter
des sozialen Liberalismus und orientierte sich an humanistischen und aufklärerischen Ide-
alen. Sein Wirken war vor allem auf die materielle und geistige Wohlfahrt der Arbeiter aus-
gerichtet. Als Rektor der Universität München war Brentano 1901 zusammen mit Theodor
Mommsen die treibende Kraft beim Protest zahlreicher Universitätsprofessoren gegen das
Eingreifen der Regierung im »Fall Spahn« (siehe Stellenkommentar Nr. 458). Hauptwerke:
Die Arbeitergilden der Gegenwart (2 Bde. 1871/72); Der wirtschaftende Mensch in der Geschichte.
Gesammelte Reden und Aufsätze (1923); Eine Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung Eng-
lands (3 Bde., 1927-1929).
458 Vgl. hierzu: Die Idee der Universität [1961], in diesem Band, 301, Fußnote Nr. i. Rossmann
hatte sich in seinem Buch Wissenschaft, Ethik und Politik. Erörterung des Grundsatzes der Vor-
aussetzungslosigkeit in der Forschung (Heidelberg 1949) eingehend mit dem »Fall Spahn« an
der damaligen Reichsuniversität Straßburg (1901) sowie den Reaktionen Brentanos und
Mommsens auseinandergesetzt. Der Fall hatte große Empörung unter der deutschen Pro-
fessorenschaft hervorgerufen und wurde als staatlicher Eingriff in die Selbstverwaltung
der Universität und die Freiheit von Forschung und Lehre verurteilt. Auf Anordnung der
Regierung war der Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Straß-
burg in einen Doppellehrstuhl mit einem katholischen und einem protestantischen Histo-
riker umgewandelt worden. Als Vertreter des protestantischen Ordinariats hatte die Regie-
rung unter der Führung von Friedrich Althoff (vgl. zu Althoff: Einleitung zu diesem Band,
Fußnote Nr. 27) den von der Fakultät an dritter Stelle vorgeschlagenen Friedrich Meinecke
berufen, als Vertreter des »katholischen« Lehrstuhls den nationalkonservativen Rechtska-
tholiken Martin Spahn. Die Fakultät sah im Vorgehen der Regierung einen gewaltsamen
Eingriff in ihre Rechte; ihre Eingabe beim Kaiser blieb jedoch ohne Antwort. Als Reaktion
auf diese Vorgänge bemühte sich Lujo Brentano, damals Rektor der Universität München,
darum, eine allgemeine Protestaktion der deutschen Gelehrten zu organisieren, und konnte
hierfür den äußerst prominenten Althistoriker Theodor Mommsen gewinnen. Der »Fall