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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2015
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Mittler, Barbara: Bezaubernde Berührung – Visuelles Gedächtnis in Chinas populären Medien, 1900 – 2000
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0055
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Barbara Mittler

Ikonischc Bilder nun haben die Macht und Kraft, Geschichte „um- oder
neuzuschreiben.“3 Und doch sind sie gerade nicht „repräsentative“ Bilder der
Vergangenheit in dem Sinn, dass sie das, was die Realität für eine Mehrheit von
Menschen war, darstellen - Werbung schafft Traumwelten, sie ist gar nicht da-
rauf angelegt, Realitäten zu spiegeln. Obwohl nun aber das ikonische Bild des
intimen gleichberechtigten Paars in der Werbung also nicht als repräsentativ für
eine realhistorische Erfahrung verstanden werden kann, ist seine realhistorische
Bedeutung nicht von der Hand zu weisen und zwar genau, weil dieses Bild ei-
ne außergewöhnliche Präsenz auf den Seiten der populären Medien hat. Solche
Bilder waren Teil einer täglichen visuellen Erfahrung eines wachsenden Lesepub-

Abb. 2 (SB 21.7.1939 14778)


likums, das Morgen für Morgen die Shenbao las, und
also täglich mit diesen Bildern konfrontiert wurde. Wir
können davon ausgehen, dass diese ikonischen Bilder
Ideen in die Köpfe der Leser platzieren konnten, dass
sie „ways of seeing“ und damit des Denkens und des
Seins zu schaffen in der Lage waren. Die dominante
Präsenz dieser Bilder kommt gleich einem immerwäh-
renden konstanten Appell an ihre impliziten ebenso
wie ihre realhistorischen Leser. Als solche reflektieren
sie zwar keine historische Normalität, ihre Präsenz in
der historischen visual mindmap beeinflusst aber die
Art und Weise wie Normalität wahrgenommen werden
konnte.


Wenn wir nun diesem synchronen Schnitt, einen
diachronen entgegensetzen, so stellen wir fest, dass das
Bild des gleichberechtigt intimen Paars in früheren
Zeiten noch nicht so leicht und prominent auszuma-
chen ist. Das intime Paar erscheint z. B. 1909 noch als
Teil einer projektierten Zukunftsvision. Zwar werden
in späteren Publikationen Intimitäten konkreter und
erscheinen mit zunehmenden Hitze- und Enthül-
lungsgrad - in Karikaturen, in der Werbung oder auch
als Filmszenenfoto, und doch können wir nicht von
einer unvermeidlichen Progression zu immer größerer
Gleichheit und Intimität zwischen dem neuen Mann

Abb. 3 (THRB 1909.10:9)

und der neuen Frau Chinas über die Zeit sprechen.

3 Vgl. Vanessa Schwartz, „Film and History“, in The Sage Handbook ofFilm Studies, ed. James Do-
nald and Michael Novo (Los Angeles, London, New Delhi and Singapore: Sage Publication
Ltd., 2008), 199-215, 208.

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