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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
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16. Metaphern und Modelle – Zur Übersetzung von Wissen in Verstehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0307
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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

klamierenden Wahl einer Metapher oder eines Modells einzufordern ist. Gleich-
wohl erweist sich die Analyse eines Metapherngebrauchs im konkreten Fall als
überaus aufwändig. Denn um eine kritische Distanz zur konkreten Metapher zu
gewinnen, muss zunächst der vermeintlich immuable Gedanke oder Zusammen-
hang, den die Metapher vermitteln soll, herausgearbeitet werden, um diese sodann
im Vergleich zu anderen Metaphern oder Ausdrucksformen zu bewerten. Zugleich
besteht aber gerade die Pointe der metaphorischen Übersetzung von Wissen in
Verstehen darin, dass sich Inhalt und Ausdrucksform nicht gänzlich voneinander
trennen lassen. Dies erfordert ein behutsames, sorgfältiges Vorgehen - im Grunde
eine vollwertige Neuuntersuchung des Gedankens selbst.
Zum Beispiel der hier aus laufenden Feuilletondebatten als bekannt vorausge-
setzten Fortpflanzungstechnik der „Leihmutterschaft“ hat Chris Thomale im No-
vember 2015 eine solche interdisziplinäre Untersuchung vorgelegt. Deren Details
können aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden. Die metaphorologische
Pointe der Arbeit besteht in der Erkenntnis, dass die in den Gesellschaftswissen-
schaften verbreitete metaphorische Rede von Mhnsc/z-Eltern, die sich von einer
Leih -Mutter ein Kind austragen lassen, irreführend ist. Denn der Begriff der Leihe
bezeichnet ein unentgeltliches Rechtsverhältnis. Das ist zwar auch bei einer Leih-
mutterschaft denkbar, wenn etwa eine Frau das Kind ihrer unfruchtbaren Schwes-
ter austrägt. Man spricht hier auch von einer „altruistischen“ Leihmutterschaft.
Die quantitativ und qualitativ bedeutsamen Fälle der Leihmutterschaft basieren
hingegen auf einem Geschäft: Die Leihmutter wird für ihre Dienste bezahlt. Sie
leiht also, bei Lichte betrachtet, ihren Uterus durchaus nicht, sondern sie vermie-
tet ihn. Interessanterweise sprach der Gesetzgeber des 20. Jahrhunderts deshalb
noch nicht von einer Leihmutterschaft für Wunscheltern, sondern einer „Ersatz-
mutterschaft“ für „Bestelleltern“. Chris Thomale führt den Nachweis, dass dieser
Metaphernwandcl nicht zufällig geschah, sondern vielmehr Ausdruck einer wach-
senden politischen Befürwortung der Leihmutterschaft ist. Diese soll gerade nicht
mehr als Geschäft oder gar als (Kinder-)Handel dargestellt werden, sondern als
altruistischer Transfer eines Kindes von der Mutter die es nicht will, zu den eigent-
lichen „Eltern“, die es sich so sehnlich „wünschen“. Im Englischen wird selbst die
mütterliche Identität der Leihmutter verweigert und nur noch funktional von Sur-
rogate4 statt von ,surrogate mother‘ gesprochen. Hoffnung schenkt Stefan Zweigs
Land der Zukunft, Brasilien. Hier wird die Leihmutterschaft noch als das bezeich-
net, was sie in Wahrheit ist: Eine maternidade de aluguel, eine Mietmutterschaft.
Publikation
Chris Thomale, Mietmutterschaft - Eine international-privatrechtliche Kritik, Tübingen
2015.

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