Nachruf auf Wolfgang Wieland
Wolfgang Wieland
(29.6.1933-8.3.2015)
In seiner Antrittsrede in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom
30. April 1983 erinnerte sich Wolfgang Wieland, gerade von Freiburg her in seine
akademische Heimat Heidelberg zurückberufen, seiner Studien- und Lehrjahre
bei Hans-Georg Gadamer: „Es war eine Schule, in der sich der Lehrer des wirk-
samsten und strengsten Zuchtmittels bediente, das es im Bereich der Wissenschaft
gibt, nämlich der Gewährung von Freiheit und Unabhängigkeit. Jeder Ordinarius
würde sich heute glücklich schätzen, räumte man ihm in der Universität unserer
Tage für seine Arbeit auch nur einen Teil jener Freiheit ein, deren man sich als
Assistent bei Gadamer in den angeblich so finsteren Jahren der sog. alten Ordina-
rienuniversität erfreuen konnte.“ Nochmals drei Jahrzehnte später ersticken wir
förmlich in Bürokratisierung und Regression in (anglophone) Einsprachigkeit.
Wolfgang Wieland sah es kommen. Gegen Ende der Antrittsrede sagte er: „Die un-
ter der Herrschaft eines technokratischen Bildungsideals durchreglementierte und
gleichsam auf Stromliniengestalt reformierte Universität, die unausweichlich auf
uns zuzukommen scheint, wird erst recht nicht alles das verkörpern können, was
einmal die Würde der traditionellen Universität ausmachte.“ - Er war ein vorsich-
tiger, skeptischer, konservativer Mensch, der als Philosophieprofessor in Marburg
und ab 1968 in Göttingen ein Studium der Medizin bis zur ärztlichen Approbation
absolvierte und, wie er ebenfalls in der Antrittsrede verriet, eine Zeitlang „sogar
mit dem Gedanken [spielte], den Beruf endgültig zu wechseln. Das waren Er-
wägungen“, fügte er hinzu, „die sich nicht zuletzt auch angesichts der Ereignisse
von 1968 und den darauffolgenden Jahren nahelegten.“ Arzte würde man auch
nach einer allfälligen sozialistischen Revolution noch brauchen. Doch es kam ganz
anders; die Fronten von 1968 wurden obsolet. Links wie rechts wäre man damals
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Wolfgang Wieland
(29.6.1933-8.3.2015)
In seiner Antrittsrede in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom
30. April 1983 erinnerte sich Wolfgang Wieland, gerade von Freiburg her in seine
akademische Heimat Heidelberg zurückberufen, seiner Studien- und Lehrjahre
bei Hans-Georg Gadamer: „Es war eine Schule, in der sich der Lehrer des wirk-
samsten und strengsten Zuchtmittels bediente, das es im Bereich der Wissenschaft
gibt, nämlich der Gewährung von Freiheit und Unabhängigkeit. Jeder Ordinarius
würde sich heute glücklich schätzen, räumte man ihm in der Universität unserer
Tage für seine Arbeit auch nur einen Teil jener Freiheit ein, deren man sich als
Assistent bei Gadamer in den angeblich so finsteren Jahren der sog. alten Ordina-
rienuniversität erfreuen konnte.“ Nochmals drei Jahrzehnte später ersticken wir
förmlich in Bürokratisierung und Regression in (anglophone) Einsprachigkeit.
Wolfgang Wieland sah es kommen. Gegen Ende der Antrittsrede sagte er: „Die un-
ter der Herrschaft eines technokratischen Bildungsideals durchreglementierte und
gleichsam auf Stromliniengestalt reformierte Universität, die unausweichlich auf
uns zuzukommen scheint, wird erst recht nicht alles das verkörpern können, was
einmal die Würde der traditionellen Universität ausmachte.“ - Er war ein vorsich-
tiger, skeptischer, konservativer Mensch, der als Philosophieprofessor in Marburg
und ab 1968 in Göttingen ein Studium der Medizin bis zur ärztlichen Approbation
absolvierte und, wie er ebenfalls in der Antrittsrede verriet, eine Zeitlang „sogar
mit dem Gedanken [spielte], den Beruf endgültig zu wechseln. Das waren Er-
wägungen“, fügte er hinzu, „die sich nicht zuletzt auch angesichts der Ereignisse
von 1968 und den darauffolgenden Jahren nahelegten.“ Arzte würde man auch
nach einer allfälligen sozialistischen Revolution noch brauchen. Doch es kam ganz
anders; die Fronten von 1968 wurden obsolet. Links wie rechts wäre man damals
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