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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
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II. Nachrufe
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Zimmermann, Bernhard: Walter Burkert (2.2.1931 – 11.3.2015)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0343
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

Kapiteln die Geschichte der griechischen Religion seit der minoisch-mykenischen
Epoche.20 Die soziobiologischen, anthropologischen und altertumswissenschaft-
lichen Methoden zur Erklärung von Religion fließen auf provozierende Weise
zusammen in „Kulte des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion“.21
Burkert wiederholt in der Einleitung dezidiert sein Credo der untrennbaren Ein-
heit von Anthropologie, Altertums- und Religionswissenschaft: „So stellt Religi-
on eine besondere Herausforderung dar für eine umfassende Anthropologie, die
sich zur Aufgabe macht, im Gesamtrahmen unseres Wissens und Vermutens auch
das ,Irrationale4 als sinnvoll zu verstehen.“ (S. 10) „Geisteswissenschaftlich-histo-
rische Forschung wirkt in einem Rahmen der Anthropologie, die ihrerseits von
Biologie im weitesten Sinne unabtrennbar ist.“ (S. 12) In derselben Einleitung -
auch dies ist ein Credo von Burkerts wissenschaftlicher Arbeitsweise - erteilt er
der postmodernen Dekonstruktion der Fakten und Quellen eine brüske Abfuhr
(S. 12): „Man mag etwa die Symbolik und Sprache des Opfers in einem bestimm-
ten kulturellen Kontext erfassen und wechselnden Interpretationen unterwerfen;
es gibt aber auch als banales Faktum die Tierknochen, die der Ausgräber findet,
woraus er unter anderem religionshistorische Schlüsse ziehen kann. Jedenfalls
wurde nicht nur symbolisch geschlachtet. Religion ist überaus realistisch - und
eben darum ,natürlich4.“
Burkerts wissenschaftliches Arbeiten war geprägt von einer ständigen Suche
nach Belegen, Fakten, Texten. Er war keineswegs, wie vor allem „Homo necans4
beweist, Theorien abhold, und er hat ja nicht unwesentlich selbst zur Theorie-
bildung in der Klassischen Philologie und Altertumswissenschaft beigetragen.
Sein Bemühen galt jedoch in erster Linie einer möglichst kompletten Samm-
lung und Sichtung des zur Verfügung stehenden Materials als unabdingbarer
Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens, so dass man, selbst wenn man den in
seinen Werken entwickelten Interpretationen nicht zustimmt, in ihnen trotzdem
einen Schatz an Zeugnissen findet, die für weitere Forschungen von Nutzen sein
können.22 Burkerts Freude am Finden und Begreifen konnte ich selbst auf einer
Exkursion in der Magna Graecia erleben, als er im kleinen Museum von Vibo
Valentia das orphische Goldblättchen in die Hand nehmen durfte und geradezu
verzückt den griechischen Text aus dem Gedächtnis vor sich hin murmelte.

20 1. Vorgeschichte und Minoisch-Mykenische Epoche; 2. Ritual und Heiligtum; 3. Die gestalte-
ten Götter; 4. Tote, Heroen und chthonische Götter; 5. Polis und Polytheismus; 6. Mysterien
und Askese; 7. Philosophische Religion.
21 München 1998; der deutschen ging eine englische Fassung voraus: Creation of the Sacred.
Tracks of Biology in Early Religions, Cambridge (Mass.) 1996.
22 Man lese vor allem sein Nachwort in: F. Graf (Hg.), Ansichten griechischer Rituale, Stuttgart
- Leipzig 1998, S. 441 -444.

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