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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0153
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Erneuerung der Universität

Diese Unerschöpflichkeit ist der Schleier vor der Verborgenheit des eigentlichen
Menschen für die wissenschaftliche Erkenntnis. Die Freiheit des Menschen ist seine
entschiedenste Wirklichkeit, aber für die wissenschaftliche Erfahrungserkenntnis gibt
es keine Freiheit.
Daher gehört zur Humanität ein Bild des Menschen, das über das Erkennbare hin-
aus vergegenwärtigt, was der Mensch sei und sein könne. An diesem Bild des Menschen
arbeiten alle Fakultäten. Dieses Bild in seinem ganzen Umfang gegenwärtig zu gewin-
15 nen, das bringt für jeden und vor allem für den Mediziner den Raum, aus dem das be-
sondere Wissen und Können seine Führung hat. Das Bild des Menschen war weitge-
hend verloren und besonders in großen Teilen der medizinischen Eiteratur verdorben.
Kein wahres Bild des Menschen ohne Gott. Wir müssen das Bild des Menschen zurück-
gewinnen.
Wissenschaftlichkeit und Humanität suchen sich gegenseitig.
Der humane Arzt will von der Wissenschaft nicht mehr, als sie leisten kann, will
aber diese Eeistung vollständig und gewissenhaft. Der wissenschaftliche Arzt weiß, daß
er für die Praxis mit bloßer Wissenschaft nicht ausreicht. An der Grenze des wissen-
schaftlich Möglichen ist er Helfer und Schicksalsgefährte des Leidenden aus der Ge-
meinschaft des Menschseins.
Wissenschaftlichkeit und Humanität sind unlösbar verbunden. Wo Wissenschaft
verlassen wird, da werden Phantastik und Täuschung ein Glaubensersatz, durch den
die Irrenden statt an Gott vielmehr an ihre Fanatismen gebunden werden. Die Unwis-
senschaftlichkeit ist der Boden der Inhumanität.
Daß die beiden Pfeiler, Wissenschaftlichkeit und Humanität, wieder fest werden, dazu
bedarf es der ganzen Universität. Die Medizin muß, wie alles Wissen und Können, im
Raum der einen umfassenden Wahrheit leben, die sich darstellt im Kosmos der Wis-
senschaften und in der lebendigen Kommunikation der forschenden Menschen. Die
ganze Universität muß leben, wenn Unterricht und Forschung in den einzelnen Ge-
bieten gedeihlich sein sollen. Man darf uns nicht zerstückeln.
Billroth, der weltbekannte Chirurg, schrieb in den siebziger Jahren, daß die Theo-
logie eigentlich nicht an die Universität gehöre.134 Ein Mediziner würde doch keine
theologischen Vorlesungen besuchen, und ein Theologe, der eine medizinische Vor-
lesung besuche, sei in Gefahr, seinen Glauben zu verlieren. Aber Pietät veranlasse ihn,
trotzdem nicht für die Ausschaltung der theologischen Fakultät zu sprechen. Das Herz
des humanistisch gebildeten Billroth ließ sich noch nicht zum Schweigen bringen ge-
genüber solchen unheilvollen Trennungsgedanken, die damals fast selbstverständlich
waren und sich bis heute ausgewirkt haben. Ohne Gott aber und die Seele kommt man
bis zum Geisteskrankenmord.
Im Ursprung war die Universität wirklich das eine Ganze. Für die Grundanliegen
unseres Menschseins wurden die drei Fakultäten begründet: für das Heil der Seele die
 
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