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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0176
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Vom lebendigen Geist der Universität

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wäre nicht ergriffen, wenn er in erster Berührung den eigenen Geist erwachen und
sich erweitern fühlt etwa von dem einzigen »Symposion« Platos, seinem »Staat«, von
der »Ethik« Spinozas, den Kritiken Kants, vom »Kommunistischen Manifest« und dem
»Kapital« von Marx, von Kierkegaards »Krankheit zum Tode«, von Nietzsches Fragmen-
ten. Aber gerade aus der Ergriffenheit werden wir fähig, das historische Kleid nicht zu
dem unseren zu machen, nicht doktrinär zu werden, vielmehr das Vergangene als ver-
gangen, das Unrichtige als unrichtig zu erfassen, im Vergangenen aber das ewig Wahre
für uns zu retten.
Wie trübselig dagegen werden die Kantianer, die Neukantianer, die Hegelianer, die
Marxisten. Sie alle hantieren mit abgebrauchten Kleidern, die einmal frisch als ge-
schichtliches Gewand des Wahrheitssuchens waren. Wer verstaubte Altertümer als ge-
lernte Sätze benutzt und für alle Probleme als Schlüssel verwendet, ist unlebendig und
nicht gegenwärtig.
Der lebendige Geist wird frei von Schlagworten, von Bekenntnissen, von absolu-
ten Standpunkten, von Doktrinen. Er senkt sich ein in die Geschichtlichkeit seiner Ge-
genwart. Von ihm getrieben leben wir, jeder da, wo er sich findet, und sei es im Klein-
sten und mit schwachen Kräften, für das Beste, das ihm in der Welt zu verwirklichen
gewährt ist.
| Eine frühere Schülerin, die vor bald zwanzig Jahren bei mir promovierte, 1933 als
politisch Verfolgte aus Deutschland flüchtete, Heimat und Vaterland verlor, als Jüdin
durch die Welt gehetzt, schließlich in Amerika blieb,186 schrieb vor kurzem: »Wir ha-
ben ja alle in diesen Jahren erlebt, wie der Wenigen immer weniger wurden. Dies war
in der Emigration im wesentlichen nicht anders als innerhalb Deutschlands. Man
kann sich an vieles >gleichschalten<. Zählen werden nur die, die bereit sind, sich we-
der mit einer Ideologie noch mit einer Macht zu identifizieren.«187
Im Januar 1945 veröffentlichte sie in Amerika einen Aufsatz über die deutsche
Schuld.188 Sie zeigte, wie die Terrormaschine in Deutschland zur Abhängigkeit aller
führte. Und hier fügte sie hinzu: »Daß die aus Deutschland Geflüchteten, welche ent-
weder das Glück hatten, Juden zu sein, oder rechtzeitig von der Gestapo verfolgt zu
werden, vor dieser Schuld bewahrt worden sind, ist natürlich nicht ihr Verdienst. Weil
sie dies wissen und weil sie noch nachträglich ein Grauen vor dem Möglichen packt,
bringen gerade sie in alle derartigen Diskussionen jenes unerträgliche Element der
Selbstgerechtigkeit...«189 Und schließlich sagt sie: »Seit vielen Jahren begegnen mir
Deutsche, welche erklären, daß sie sich schämten, Deutsche zu sein. Ich habe mich
immer versucht gefühlt, ihnen zu antworten, daß ich mich schämte, ein Mensch zu
sein.«190
Innere Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenliebe, die in solchen Sätzen fühlbar
sind, sind nicht häufig. Denn die Freiheit ist nicht angeboren, sie kann nur erworben
werden in kritisch kontrollierender Sachlichkeit. Was jene Jüdin heute zu fühlen ver-
mag, das hat zur Voraussetzung ihre Erfahrungen und inneren Umkehrungen.

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