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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0356
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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In der Realität sind Staat und Universität nicht ohne einander möglich. Der natür-
liche für beide glückliche Zustand ist der, daß die Interessen des Staats Zusammentref-
fen mit dem Ziel der Idee der Universität. Der Staat will, daß die Universität ihr Leben
habe aus ihrem überstaatlichen ewigen Ursprung. Er läßt ihr den ihr eigenen staats-
freien Raum und schützt sie | darin. Und in Rückwirkung sieht die Universität diesen 26
Staat, dem sie dient, wie er den Sinn der Freiheit verwirklicht und mit ihr auf dem glei-
chen Wege ist. Beide erkennen ihren gemeinsamen Ursprung.
Dann ist für den Staat die Universität zusammen mit dem gesamten Erziehungs-
wesen das höchste Interesse seiner Innenpolitik. Denn es handelt sich um die an
Wahrheit gebundene ethische Zukunft seines Volkes. Was an der Universität ge-
schieht, das wirkt auf die Dauer, positiv oder negativ, in die gesamte Bevölkerung
hinein. Was hier durch Verwaltung, Förderung und Beschränkung getan wird, das
zeigt seine Wirkung erst in Generationen. Wir genießen die Folgen früherer geistiger
Gestaltungen, glücklicher Einrichtungen und Entschlüsse, und wir tragen die Folgen
früherer staatlicher Versäumnisse und falscher Eingriffe, deren Urheber wir nicht
mehr zur Rechenschaft ziehen können. Aber die Geschichte macht sie für immer ver-
antwortlich.
Wenn aber der Staat ganz verloren ist an die Zufälle der augenblicklichen Situatio-
nen, nur bedacht auf unmittelbar eintretende sichtbare Effekte, wenn er unter dem
Druck des Gegenwärtigen nicht eigentlich interessiert ist an der ferneren Zukunft,
wenn er ohne die hohe Verantwortung des Staatsmanns für das innere, eigentliche
Leben des Volkes gelenkt wird, dann ist seine Sorge für Universität und Schule allein
bestimmt vom greifbaren, bald zu sehenden Nutzen. Die Universität soll die Erkennt-
nismittel herbeischaffen für Industrie, damit für die Schulung der »gelernten Arbei-
ter« in den Funktionen auf immer mehr Gebieten des modernen technischen Lebens.
Dann läßt er die Universität im Betrieb der Verschulung ihre eigentlichen Aufgaben
und sich selbst verlieren. Für seine Zwecke stellt dieser Staat zwar die Mittel in einer
früher unvorstellbaren Höhe zur Verfügung. Aber die vergleichsweise kümmerlichen
Mittel für zweckfreie Wahrheitsforschung, für Bildung und Erziehung der Denkungs-
art, insbesondere für die geschichtlichen Geisteswissenschaften werden dann in dem
bloßen Schulbetrieb, der den Geist tötet, auch noch vergeudet.
Im Schul- und Erziehungswesen mit dem Zentrum der Universität erwachsen die
kommenden Menschen, die durch ihr Ethos, ihre Einsicht und ihr Leben dann die
Frage entscheiden | werden, wofür ein Staat und ein Volk durch den Staat sich behaup- 27
tet. Erst in der kritischen Situation offenbart sich, was da ist, was es zu verteidigen gilt,
wofür zu leben sich lohnt und zu sterben in Freiheit möglich ist.

b) Die Autonomie der Universität
In den Umwälzungen des wissenschaftlichen Forschens und Könnens bleibt die Au-
tonomie der Wahrheit.
 
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