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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0396
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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jene Bewegung dauernden Wachsens der Idee eingetreten ist, auch wenn er sich aus-
wirkt im praktischen Beruf der Wirklichkeitsgestaltung, die nicht weniger produktiv
ist als die wissenschaftliche Leistung im engeren, literarisch sichtbaren Sinn.
3. Bildung durch den Gehalt der Wissenschaften. Der Bildungswert230 der Naturwis-
senschaften und der Geisteswissenschaften hat einen sehr verschiedenen Charakter.
Naturwissenschaftlicher Realismus und Humanismus scheinen zwei Bildungsideale.
Beide beruhen auf wissenschaftlicher Forschung, das eine auf dem Umgang mit den
Realitäten der Natur durch Beobachtung und Experiment, das andere auf dem Um-
gang mit Büchern und Werken des Menschen durch Verstehen.
In den Geisteswissenschaften bleiben wir im Element des Verstehbaren und berüh-
ren nur als Grenze und als das Fremde, die unverstehbaren Daseinsbedingungen allen
Geistes, etwa in geographischen Gegebenheiten, Rassen, Naturkatastrophen. Aber un-
ser Dasein ist bestimmt von diesem Unverstehbaren, das die Naturwissenschaft zu er-
kennen und zu erklären sucht.
Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften haben die Tendenz, je sich selber
den Vorrang zu geben und zur eigentlichen Wissenschaft zu machen. Ein Bildungs-
ideal, in dem Humanismus und Realismus miteinander verbunden wären zu gegensei-
tiger Erleuchtung und Durchdringung, besteht bis heute nicht, außer in persönlichen
Einzelgestalten wie Alexander von Humboldt, K. E. von Baer393 u.a.
| Der Bildungswert der Geisteswissenschaft ist die Teilnahme an der menschlichen
Vergangenheit, das Wissen in der Weite der menschlichen Möglichkeiten. Auch wo
der Weg der Erkenntnis (der in der Philologie beschritten wird) vergessen ist, bleibt das
Ergebnis als solches bedeutsam. Die Erfüllung der Seele mit den Gehalten der Mythen,
Bilder, Werke, der menschlichen Wirklichkeit als solcher hat schon den großen Bil-
dungswert.
Der Bildungswert der Naturwissenschaften dagegen liegt in der Übung exakt-reali-
stischer Auffassung. Sehr viel weniger als bei den Geisteswissenschaften bilden die In-
halte als solche. In der Physik und Chemie sind die Ergebnisse verhältnismäßig gleich-
gültig, während der Weg, auf dem sie gewonnen sind (die Methode), den Bildungswert
hat. Wer hier nur Ergebnisse kennt, hat ein im Grunde totes Wissen. Die bloße Aneig-
nung der Ergebnisse schafft daher hier das Gegenteil von geistiger Bildung. Es entsteht
eine abergläubische Dogmatik der zur Autorität erhobenen Wissenschaft. Am wenigsten
Bildungswert hat, was bei der Menge im Vordergrund steht, die Dogmatisierung zum
Weltbild. Ein Wissen, dessen Begründung ich nicht selbständig einsehen kann, wirkt
hier ruinös. Die doch im Prinzip immer falschen Weltbilder gelten wie früher die My-
then. Ein entseeltes Weltbild tritt an die Stelle der mythischen Welt; ein reiches, gehalt-
volles Ganzes wird ersetzt durch ein unendlich armes. Leere naturwissenschaftliche An-
sichten treten an Stelle lebendigen, anschauenden Verkehrs mit der Natur. Nicht durch
die Naturwissenschaften, sondern durch die falsche Auffassung von ihnen, in der ihre
Ergebnisse dogmatisch und von abergläubischem Charakter werden, entsteht die in der

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