Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0529
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
454

Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik

Jaspers: Wodurch kann noch auf andere Weise die Lehrfreiheit, trotz formaler Re-
spektierung, bedroht werden?
Rossmann: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Eine der gefährlichsten Be-
drohungen der Lehrfreiheit sehe ich darin, daß die Idee einer dem Geist der modernen
Wissenschaftlichkeit entsprechenden Universität unmerklich verloren gehen kann.
Das geschieht etwa dann, wenn der Staat seine Universitäten wesentlich nur als Schul-
und Ausbildungsstätten für die von ihm benötigten wissenschaftlichen Fachkräfte be-
urteilt und danach einrichtet. Denn die zur bloßen Ausbildungsanstalt für wissen-
schaftlich-technische Fachkräfte herabsinkende Universität ist dann von sich aus gar
nicht mehr fähig, die ihr formal zwar noch garantierte Lehrfreiheit zu verwirklichen.
Diese Gefahr wird um so größer, je mehr die Universität mit bloßen Unterrichts- und
technischen Ausbildungsaufgaben belastet wird, die gar nicht ihre Sache, sondern die
Sache von wissenschaftlichen Fachschulen ist.
39 | Um dieser Gefahr wirksam zu begegnen, bedarf es einer Reform der Wissenschaftsor-
ganisation im ganzen, der die strikte Unterscheidung der Universität als freier, auto-
nomer Forschungs- und Lehrstätte von jeder Art von Lehranstalt und Fachschule zu-
grundegelegt werden müßte. Das Gewicht und die Bedeutung einer solchen Reform
aber sind derart entscheidend für die künftige Entwicklung unserer Wissenschaft und
Technik und unseres gesamten Erziehungs- und Bildungswesens, daß die Verantwor-
tung für sie nicht allein von den einzelnen Bundesländern getragen werden kann. Hier
bedarf es des gesetzgeberischen Zusammenwirkens aller politischen Kräfte: des Bun-
des und der Länder.
Durch das Grundgesetz ist die »Förderung der Forschung« im Sinne der konkurrieren-
den Gesetzgebung dem Bund überantwortet.463 Sofern die Forschung nur im Medium
der freien Lehre - und das ist: durch die Universität - wirksam gefördert, vermittelt
und entwickelt werden kann, ist es deshalb meines Erachtens Aufgabe des Bundes,
durch ein Hochschulrahmengesetz464 den Begriff und Aufgabenbereich der Universi-
tät verbindlich festzulegen.
Indolenz gegenüber dieser Sorgepflicht würde angesichts des Versagens der bestehen-
den Universitäten durch ihre Belastung mit ihnen nicht zumutbaren Aufgaben ver-
hängnisvoll sein.
Jaspers: Der Gedanke eines vom Bunde zu erlassenden Rahmengesetzes für die For-
schung ist mir neu. Er leuchtet mir ein, weil dadurch die Universitäten aus der gesam-
ten Hierarchie des Unterrichts- und Erziehungswesens, dem sie angehören, doch zu-
gleich hinausgehoben werden. Die für das Universitätsleben unerläßliche Konkurrenz
der Länder bleibt erhalten. Was führt Sie zu diesem Gedanken?
Rossmann: Was bisher zur Reform der Universitäten getan und geplant wurde,
reicht nicht aus. Eine bloße Vermehrung der Lehrstühle und Institute und Universi-
tätsneugründungen traditionellen Stils sind nicht genug. Wir bedürfen einer neuen
Universitätsgestalt.465
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften