Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2004
DOI chapter:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI chapter:
Gesamtsitzung am 31. Januar 2004
DOI article:
Eibl, Josef: Sicherheit in der Technik - auf der Grundlage von Recht und Wahrscheinlichkeit
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0053
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
31. Januar 2004

65

So nimmt z.B. ein Bergersteiger völlig irrational im Gebirge am Seil ein
wesentlich größeres Risiko in Kauf als bei seiner anschließenden abendlichen
Rückreise zu seinem Wohnort mit der Eisenbahn.
Die Akzeptanz der Kerntechnik zur Stromerzeugung ist in Ländern mit Atom-
U-Booten zur Verteidigung größer als in Ländern ohne solche. Dieser Irrationalität
sucht man in Analysen u.a. mit besonderen Wichtungsfaktoren Rechnung zu tragen.
Wer bestimmt de facto das zumutbare Risiko bei der Erstellung neuer techni-
scher Systeme mit großem Schadenspotential?
Wenn derzeit eine völlig neue Generation von Großflugzeugen mit etwa 500
Passagieren in Betrieb geht, so hat letztendlich eine kleine Gruppe von Ingenieuren
über deren Absturzwahrscheinlichkeit in Abwägung von Kosten, Nutzen und
Marktstrategien entschieden. Sind dabei neue, bessere Rettungssysteme in Anbe-
tracht eventuell möglicher großer Personenschäden diskutiert worden? Wird bei sol-
chen Flugzeugen, die prinzipiell auch Panzer transportieren können, mehr Raum für
komplexe neue Rettungssysteme zur Verfügung gestellt oder aus wirtschaftlichen
Erwägungen, wie angestrebt, ein Schwimmbad eingebaut? Wer entscheidet letztend-
lich darüber? Gibt es dafür tragende, konkrete rechtliche Vorgaben? Konventionelle
technische Vorschriften aus überkommenen Erfahrungen der Vergangenheit sind bei
solchen Neuentwicklungen wenig hilfreich.
Dürfen Konstrukteure letztendlich über Menschenleben alleine entscheiden?
Ist das nicht eine Frage der Rechtsetzung, die prinzipiell geregelt werden müsste,
indem z.B. vorgegebene rechnerische Absturzwahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit
von der Personenzahl etc. kodifiziert werden?
Es kommt die Frage auf, ob es zielführend ist, wenn bei einem schweren Bau-
unfall, etwa bei der Errichtung einer Staumauer, ein Schuldiger durch die Strafver-
folgungsbehörden „deterministisch“ gesucht wird, große Rückversicherer aber
wissen, dass weltweit bei einer bestimmten Menge an Beton eine relativ gesicherte
gleich bleibende Zahl von Unfällen zu beklagen ist.
Müsste man nicht heute statt der völlig unspezifizierten Begriffe wie „sicher“,
„dem Stand der Technik entsprechend“ etc. in rechtlich verbindlichen Vorschriften
einfach eine „Personenschadensrate - oder Versagens-Rate“ definieren, die nicht
überschritten werden darf?
Hat man im Bereich der Verkehrstechnik geprüft, ob nicht vielleicht ganz all-
gemeine, unvermeidliche, die Fahrtüchtigkeit beeinflussenden menschlichen
Unzulänglichkeiten über die Zeit einigermaßen gleich verteilt sind? Wenn ja, müs-
ste dann ein Vielfahrer nicht geringer bestraft werden als ein Gelegenheitsfahrer?
Machen rechtliche Verschärfungen im Straßenverkehr Sinn, wenn die Unfall-
zahlen einem asymptotischen Grenzwert zustreben, der durch noch so schwere Ahn-
dungen nicht mehr entscheidend beeinflusst werden kann? Wird der Aufwand für
Kontrollen noch durch entsprechende Erfolge gewährleistet?
Die Rechtsnormen fordern noch immer „sichere“ technische Einrichtungen. Für
den Ingenieur tritt die Frage auf, wie sicher ist „sicher“? Ein absolut sicheres System ist
nicht zu realisieren. Müsste nicht eine Quantifizierung von Sicherheit erfolgen, die stär-
ker von den Erkenntnissen der Wahrscheinlichkeitstheorie Gebrauch macht?
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften