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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2004
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Antrittsreden
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Frank, Manfred: Antrittsrede vom 11. Dezember 2004
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0135
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Manfred Frank | 147

Antrittsrede von Herrn MANFRED FRANK
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 11. Dezember 2004.

Sehr geehrte Herren Sekretäre,
liebe Kolleginnen und Kollegen!


Mit Freude und Dankbarkeit bin ich in Ihrem Kreise.
Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen.

Ich bin am 22. März 1945 in Wuppertal-Elberfeld
als zweiter Sohn eines Arztehepaars geboren. Mein
Vater, aufgewachsen inmitten einer bedeutenden
expressionistischen Gemäldesammlung, die meine
Großeltern beherzt und überzeugt vor den Nazis, aber
nur mit Verlusten vor den alliierten Bomben schützen
konnten, war ein gebildeter Mann, im Grunde verbit-

tert über seinen Arztberuf, zu dem sein Vater — selbst (Zahn-) Arzt — ihn gedrängt
hatte, ein unausgeglichener und autoritärer Charakter, ja einer tyrannischen Härte
fähig. Eine Mutter, deren Milde und Phantasie ihn in dieser ungünstigen Anlage
hätte korrigieren können, hatte ich mit neun Jahren verloren. So war ich ihm — mit
einer kleineren Schwester — weit gehend allein ausgeliefert. Ich muss noch erzählen,
dass mein Vater, ungewohnt, sich um die Kinder selbst zu kümmern, mich nach dem
Tod seiner Frau erstmals allein mit in den Urlaub genommen hatte. Eigentlich soll-
te die Reise in die Toskana gehen. Aber aus Gründen, die ich vergessen habe, wurde
von der Entfernung des Reiseziels immer mehr abgespeckt, und so ging’s endlich, zu
meinem Kummer, nur in die Dolomiten.
Dort aber ereignete sich etwas für meine Lebensgeschichte Entscheidendes.
Wir sahen die wilden Felsen dieses einzigartigen Gebirges und wussten gleichzeitig
und lebenslänglich unverlierbar: Auf diese Felsen hinaufzuklettern, das ist das höch-
ste Glück, das Sterblichen zuteil werden kann.
Seither bildete das Bergsteigen, besonders das Felsklettern meine höchste, ja
meine nichts neben sich duldende Leidenschaft. Selbst lebensbedrohende Unfälle —
eigene wie fremde — haben mich nicht davon abgebracht, dieser Liebe zeitlebens
treuer zu bleiben als irgendeinem Menschen — oder gar der Philosophie.
Mein Vater sah diese Leidenschaft zunächst mit wohlwollender Skepsis, bildete
sie doch eine Ebene der Verständigung in einem durchaus schwierigen Verhältnis, in
das dann die 68er Studentenrevolte und die Abrechnung mit der Nazi-Väter-Gene-
ration den definitiven und nie mehr geheilten Schnitt setzen sollte. Je mehr meine
Bergleidenschaft sich aber entwickelte, desto besorgter wurde mein Vater. Im Selbst-
gefühl, dass die Erbschaft einer hoch kultivierten Familie eine Verpflichtung an die
nachwachsende Generation darstellt, schien ihm im eigenen Sohn, der nur Berg-
bücher, Bergführer und geologisch-mineralogische Abhandlungen las, die kulturelle
Ader der Familie versiegt. So schickte er sich in den Gedanken, mich für die höhere
Bildung verloren zu geben, und ließ mich mit gebrochenem Willen auf die Gesteins-
kunde zu treib en.
 
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