88 | SITZUNGEN
sie materiell bindet. Bei den stark gerahmten Ehen ist das ganz anders: Es gibt zwar
auch hier Probleme, aber an dem Weiterbestand der Beziehung wird in keinem Fall
gezweifelt, so dass bei diesen Paaren die eher materiellen Umstände und die „Versu-
chungen“ eine deutlich geringere Auswirkung haben. Günstige Umstände und das
ehespezifische Kapital, wie Kinder und gemeinsames Eigentum, unterstützen, ver-
ständlicherweise, auch die gut gerahmten Ehen, wie die Rahmung selbst, aber sie
sind eben nicht das einzige Band.
Der Anstieg der Scheidungsraten zeigt sich in den quantitativen Analysen in
der Form sog. Kohorteneffekte: Das Heiratsjahr hat, bezogen auf eine Referenzko-
horte, wie etwa die 50er Jahre, einen eigenen und statistisch signifikanten Einfluss auf
das Scheidungsrisiko, und dieser Einfluss nimmt in der Tat immer mehr zu. Dahin-
ter stecken die beschriebenen Einzelprozesse, wie u.a. die höheren Trennungserfah-
rungen oder zunehmende Kinderlosigkeit. Alles das ist an der Erklärung der Kohor-
teneffekte und der Zunahme der Scheidungsraten beteiligt, aber der mit Abstand
stärkste Effekt ging von der Rahmung aus. Das wohl wichtigste Ergebnis in diesem
Zusammenhang aber war, dass der Anteil der stark gerahmten Ehen im Laufe der
Zeit nicht besonders abgenommen hat, wohl aber die Wirkung im Falle einer schwa-
chen Rahmung: Die Krisenanfälligkeit ist nur bei den schwach gerahmten Ehen im
Laufe der Zeit dramatisch gestiegen und damit auch das Scheidungsrisiko. Der
Grund dafür hegt nun auf der Hand: In den früheren Zeiten gab es für die schwach
gerahmten und für die Trennung prädestinierten Paare keine halbwegs attraktive
Alternative, und es war dieser Mangel an Opportunitäten, der diese Paare noch ver-
band. Nun gibt es diese Opportunitäten mehr und mehr, und nichts hält diese Paare
dann mehr, wenn die Krise kommt.
Das Ergebnis bestätigt eine alte Vermutung der (nicht-ökonomischen) Fami-
liensoziologie seit Emile Dürkheim, nicht nur für die Stabilität von Ehen: Mit den
Möglichkeiten steigen die Unzufriedenheiten, weil dann nur noch die Interessen
und die (Ehe-)„Gewinne“ regieren. Und wenn es jetzt kein rahmendes und dadurch
begrenzendes gesellschaftliches Band gibt, das die Menschen wieder orientiert, dann
sind Anomie und Zerfall nicht fern. Aber auch nicht, so kann man hinzufügen, der
nächste Partner, mit dem es vielleicht (wieder) sehr viel besser geht.
Gesamtsitzung am 10. Juli 2004
GESCHÄFTSSITZUNG
Herr Manfred Frank (Philosophie, Tübingen) wird als ordentliches Mitglied (Phil.-
hist. Klasse) zugewählt.
Der Präsident berichtet über die Beratungen im Präsidium der Union zu den Emp-
fehlungen des Wissenschaftsrates. Die Arbeit an einer Stellungnahme der Union zur
Empfehlung zur Einrichtung einer nationalen Akademie ist so gut wie abgeschlos-
sen. Der Versuch, sich mit der Leopoldina zu verständigen, erweist sich als schwierig.
sie materiell bindet. Bei den stark gerahmten Ehen ist das ganz anders: Es gibt zwar
auch hier Probleme, aber an dem Weiterbestand der Beziehung wird in keinem Fall
gezweifelt, so dass bei diesen Paaren die eher materiellen Umstände und die „Versu-
chungen“ eine deutlich geringere Auswirkung haben. Günstige Umstände und das
ehespezifische Kapital, wie Kinder und gemeinsames Eigentum, unterstützen, ver-
ständlicherweise, auch die gut gerahmten Ehen, wie die Rahmung selbst, aber sie
sind eben nicht das einzige Band.
Der Anstieg der Scheidungsraten zeigt sich in den quantitativen Analysen in
der Form sog. Kohorteneffekte: Das Heiratsjahr hat, bezogen auf eine Referenzko-
horte, wie etwa die 50er Jahre, einen eigenen und statistisch signifikanten Einfluss auf
das Scheidungsrisiko, und dieser Einfluss nimmt in der Tat immer mehr zu. Dahin-
ter stecken die beschriebenen Einzelprozesse, wie u.a. die höheren Trennungserfah-
rungen oder zunehmende Kinderlosigkeit. Alles das ist an der Erklärung der Kohor-
teneffekte und der Zunahme der Scheidungsraten beteiligt, aber der mit Abstand
stärkste Effekt ging von der Rahmung aus. Das wohl wichtigste Ergebnis in diesem
Zusammenhang aber war, dass der Anteil der stark gerahmten Ehen im Laufe der
Zeit nicht besonders abgenommen hat, wohl aber die Wirkung im Falle einer schwa-
chen Rahmung: Die Krisenanfälligkeit ist nur bei den schwach gerahmten Ehen im
Laufe der Zeit dramatisch gestiegen und damit auch das Scheidungsrisiko. Der
Grund dafür hegt nun auf der Hand: In den früheren Zeiten gab es für die schwach
gerahmten und für die Trennung prädestinierten Paare keine halbwegs attraktive
Alternative, und es war dieser Mangel an Opportunitäten, der diese Paare noch ver-
band. Nun gibt es diese Opportunitäten mehr und mehr, und nichts hält diese Paare
dann mehr, wenn die Krise kommt.
Das Ergebnis bestätigt eine alte Vermutung der (nicht-ökonomischen) Fami-
liensoziologie seit Emile Dürkheim, nicht nur für die Stabilität von Ehen: Mit den
Möglichkeiten steigen die Unzufriedenheiten, weil dann nur noch die Interessen
und die (Ehe-)„Gewinne“ regieren. Und wenn es jetzt kein rahmendes und dadurch
begrenzendes gesellschaftliches Band gibt, das die Menschen wieder orientiert, dann
sind Anomie und Zerfall nicht fern. Aber auch nicht, so kann man hinzufügen, der
nächste Partner, mit dem es vielleicht (wieder) sehr viel besser geht.
Gesamtsitzung am 10. Juli 2004
GESCHÄFTSSITZUNG
Herr Manfred Frank (Philosophie, Tübingen) wird als ordentliches Mitglied (Phil.-
hist. Klasse) zugewählt.
Der Präsident berichtet über die Beratungen im Präsidium der Union zu den Emp-
fehlungen des Wissenschaftsrates. Die Arbeit an einer Stellungnahme der Union zur
Empfehlung zur Einrichtung einer nationalen Akademie ist so gut wie abgeschlos-
sen. Der Versuch, sich mit der Leopoldina zu verständigen, erweist sich als schwierig.