Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2004
DOI chapter:
Öffentliche Veranstaltungen
DOI chapter:
Akademieabend der Landtags und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
DOI article:
Schmidt, Manfred G.: Vom Nutzen und von den Kosten der Tarifautonomie
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0096
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
108

ÖFFENTLICHE VERANSTALTUNGEN

Bedingungen für Arbeitsplatzbesitzer in einem Ausmaß, das mitunter weit über den
Wohlstand der Arbeitnehmer in vergleichbaren Ländern und über das wirtschaftlich
und finanziell Erträgliche hinausragt. Obendrein verringerten die Tarifvertragspar-
teien hierzulande den Abstand zwischen den höchsten und den niedrigsten Löhnen
stärker als in den meisten anderen Industrieländern. Doch Lohnkompression und
Hochlohnpolitik sind relativ sichere Rezepte für weniger Beschäftigung. Nicht
zuletzt schließen die Tarifvertragsparteien oft Verträge zu Lasten Dritter. Die Kosten
der aufwändigen Lohnpolitik und Arbeitsregulierung beispielsweise werden größ-
tenteils auf die Sozialpolitik abgewälzt, die die Rationalisierungsopfer des Tarifpar-
teienkartells auffangen kann, und zwar mit Arbeitslosengeld, Arbeitsmarktpolitik,
Frühverrentung, großzügiger Auslegung von Invaliditätsregeln und dergleichen.
Unbestritten haben daran viele mitgewirkt — neben den Tarifparteien die Sozialge-
setzgeber, die Arbeitsgerichte sowie die Personalabteilungen und Betriebsräte der
Unternehmen. Nachdenklich stimmt aber die Beobachtung, dass die meisten Betei-
ligten, allen voran die Gewerkschaften, den vertrackten Kreislauf von Hochlohnpo-
litik, Lohnkompression, Kostenabwälzung auf die Sozialpolitik, Belastung der Steu-
er- und Sozialabgabenzahler und Arbeitslosigkeit ignorieren, schönreden oder
umdeuten.
3. Optionen
Was ist in dieser Lage zu tun? Die Abschaffung der Tarifautonomie würde das Kind
mit dem Bade ausschütten und den Staat hoffnungslos mit Lohnpolitik überlasten.
Die Selbstreform der Tarifvertragsparteien wäre schön, ist aber wenig wahrschein-
lich. Zielführender ist eine gesetzliche Korrektur der Tarifautonomie, z.B. eine an der
amerikanischen ArbeitsVerfassung orientierte Regelung, wonach Regierungen
Kampfmaßnahmen der Tarifparteien für einen bestimmten Zeitraum aussetzen oder
eine für die Streitparteien bindende Entscheidung treffen können. Auch ist nach nie-
derländischem Beispiel der gesetzliche Lohnstopp im Fall einer gesamtwirtschaftli-
chen Krisenlage vorstellbar. Bedenkenswert ist ferner die Einführung betrieblicher
Öffnungsklauseln für Beschäftigungszwecke. Zudem sollte das Tun und Lassen der
Tarifvertragsparteien systematisch und publikumswirksam beobachtet werden. Hier-
für empfiehlt sich — analog zur regelmäßigen Überprüfung der Kraftfahrzeuge auf
Verkehrstauglichkeit — ein regelmäßiger Tarifautonomie-TÜV Das hauptzuständige
Parlament in Sachen Arbeitsbeziehungen, der Deutsche Bundestag, und die Parla-
mente der Länder sollten regelmäßig einen Bericht über die Struktur und die
Effekte der Tarifautonomie bei einem Gremium aus nationalen und internationalen
Experten in Auftrag geben. Die TÜV-Tarifautonomie-Berichte müssten insbesonde-
re über Stand und Entwicklung der Tarifpolitik informieren, ihre Vorteile und Nach-
teile benennen und dabei ausländische Erfahrungen systematisch berücksichtigen.
Überdies sollten die Unterschiede zwischen den Bundesländern und den wichtigsten
Wirtschaftsfaktoren zur Sprache kommen, um die Differenz zwischen leistungsstarken
und -schwachen Regionen und Wirtschaftsektoren zu erfassen. Ein nicht geringer
Vorteil des Tarifautonomie-TÜV läge in der größeren Transparenz und der größeren
Rechenschaftspflichtigkeit der Tarifparteien über ihr Tun und Lassen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften