Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2004
DOI chapter:
Antrittsreden
DOI article:
Wenzel, Friedemann: Antrittsrede vom 31. Januar 2004
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0112
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
124

ANTRITTSREDEN

eineinhalb Jahren verließ, konnte ich feststellen, dass sich von den vielen Vorurteilen,
mit denen ich in die USA gekommen war, sogar manche bestätigt hatten. Aber
gleichzeitig war ich von der Kreativität und Freiheit des Denkens, von der Dis-
kussionskultur, von der Anerkennung von Leistung jenseits von Hierarchien tief
beeindruckt. Promoviert habe ich erst nach meiner Rückkehr in Karlsruhe 1985.
Der zweite prägende Auslandsaufenthalt ergab sich nach der Habilitation 1990.
Ich entschied mit meiner Frau, nach Sydney/Australien auszuwandern und dort
eine Position als Principal Research Scientist anzunehmen, die zu 50% von der
Macquarie Umversity und zu 50% von der‘Commonwealth Scientific and Industrial
Research Organization’ (CSIRO) finanziert wurde. Ich hatte als Alternative das
Angebot auf eine Professur in Bergen/Norwegen. Aber die Universität von Bergen
erwartete, dass ich meine Arbeiten der letzten Jahre dort fortsetzen sollte, also vor
allem interdisziplinäre Studien der kontinentalen Erdkruste. Ich wollte aber erstens
richtig weg, nicht nur ein paar Kilometer, und auch etwas Neues machen. In Aus-
tralien wurde erwartet, dass ich als Seismologie neue Impulse für die Exploration von
Rohstoffen — Minerale wie Kohlenwasserstoffe — entwickeln und der Explorations-
industrie nahe bringen würde. Der Schwerpunkt verschob sich damit von der aka-
demischen Forschung zur industrie-relevanten, angewandten Tätigkeit. Ich ent-
wickelte seismologische Ansätze, um Störungen in Kohleflözen unmittelbar vor der
Abbaufront zu detektieren. Mit Kollegen realisierten wir die erste seismische Tomo-
graphie in einem Goldbergwerk. Man kann damit zwar nicht direkt Gold finden,
aber Ort und Volumen des Materials — in unserem Fall Quarz - bestimmen, an das
die Goldmineralisierung gebunden ist.
Das Gefühl, dass meine Arbeiten und Ergebnisse für die Industrie des Landes
interessant waren, dass sie nachgefragt wurden, dass nicht nur die wissenschaftliche
Publikation, sondern auch die Anwendbarkeit z.B. für die Kohleförderung wertvoll
und wichtig war, war neu und zugleich sehr befriedigend und motivierend für mich.
Das Bedürfnis nach diesem Gefühl hat mich bis heute nie wieder verlassen. Das aus-
tralische Lebensgefühl kann man nur als angenehm beschreiben. Die Mischung zwi-
schen Lässigkeit, Lebensoptimismus und Hilfsbereitschaft für Zuwanderer erlebten
wir als großartig.
Wir verließen Australien nach zwei Jahren, weil sich mit der Wiedervereini-
gung die Forschungslandschaft in Deutschland im Bereich der Geowissenschaften
sehr verändert hatte: In Nachfolge des Zentralinstituts für Physik der Erde wurde im
Mai 1992 das Geoforschungszentrum Potsdam gegründet, die erste geowissenschaft-
liche Großforschungsinstitution. Ich erhielt einen Ruf auf eine C3 Professur an der
Universität Potsdam, wo ich aber nur 10% meiner Zeit zu verbringen hatte. Wich-
tiger war die Tätigkeit im GFZ, wo, trotz teilweise widriger Umstände, eine Auf-
baustimmung herrschte, wie ich sie vorher und nachher nie erlebt habe. Wegen der
räumlichen Enge hatte ich Anfangs nicht einmal ein eigenes Büro. Wenn ich von
Potsdam nach Berlin — wo wir wohnten — telefonieren wollte, musste ich 0049, den
Weg durchs internationale Netz, wählen. Aber das machte alles nichts. Jeder verstand,
dass die ein oder zwei Jahre nach 1992 eine einmalige Chance darstellten, die Geo-
wissenschaften institutionell einen großen Sprung machen zu lassen. Uber das Bun-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften