Manfred Frank | 149
und Anglistik studierte. Ich besuchte Seminare und Vorlesungen bei Sühnel, Sengle
und Wapnewski. Aber die entschiedendste Förderung erfuhr ich in den Lehrveran-
staltungen Arthur Henkels, der ein in seinem Romantik-Seminar vorgetragenes
Paper, das die gedankliche Grundoperation der Fichte-Studien des Novalis unüblich
genau vorstellte, tel quel in seine Zeitschrift Euphorien aufnahm. Es war die Keim-
zelle meiner Doktor-Dissertation über ‘Das Problem ‘Zeit’ in der deutschen Romantik’
- geschrieben in einer Wechselperspektive auf die philosophische Theorie der Har-
denberg, Schlegel, Solger (auch Schelling) und das poetische Gesamtwerk Ludwig
Tiecks, dessen Werke ich später im Deutschen Klassiker Verlag kritisch und reich
kommentiert mit herausgeben sollte. Daneben begab ich mich so viel als möglich in
die Lehrveranstaltungen Löwiths und Gadamers, nach seinem Ruf vor allem Hen-
richs, schließlich auch Tugendhats. Was ich dort lernte und erfuhr, beruhigte mich in
ganz kurzer Zeit über das gut Fundierte von Herrn Simons Rat. Ich lernte, dass Phi-
losophieren etwas anderes ist (oder sein kann) als das Auswerfen oder Inhalieren
begrifflicher Nebelkerzen — und der Frühromantik, selbst der Naturphilosophie und
ihrem grundrealistischen Impetus, bin ich auch treu geblieben.
Mein Heidelberger Studium vermittelte mir — einem zunächst begeisterten
Gadamerianer, dessen Position stark auch in Seminaren Henkels und seiner Assisten-
ten diskutiert wurde — eine Ahnung von der Basalität des Verstehens für alle bewuss-
ten Leistungen und Bedeutung generierenden Vollzüge. Der Universalitätsanspruch
schien die Hermeneutik für eine neue prima philosophia zu disponieren. Freilich stör-
te mich an Gadamers Hingabe an die Tradition die Vernachlässigung der Rolle des
Subjekts, das doch an sinnstiftenden Akten selbst dann beteiligt ist, wenn es die
Bedingungen nicht geschaffen hat, unter denen es seine unscheinbare Arbeit tut.
Selbst Bedeutungen konservieren heißt: an der Wirkungsgeschichte mitarbeiten. Es
lässt sich analytisch einsehen, dass Regeln — und Traditionen sind nichts als erstarrte
symbolische Ordnungen, also Regelwerke — die Weise nicht festlegen können (oder
nur um den Preis von regressiven Verwicklungen), wie situierte Symbol-
benutzerinnen) sie anwendend überschreiten. Hier begegnete ich erneut der
Frühromantik, die zwei nur auf den ersten Blick auseinander strebende Gedanken
zusammenführte: Der erste ist, dass das Subjekt die Bedingungen seiner Existenz
nicht in seiner Gewalt hat; der andere, dass Sinn keine Gegebenheit, sondern etwas
ist, dass unter gegebenen Bedingungen frei hervorgebracht wird. Damit ist die grund-
realistische Einsicht verbunden, dass wir über das Sein (im Sinne von Wirklich-
keit/Existenz) nicht verfügen, dass wir ihm aber (teilweise und in Interaktionen mit
anderen Subjekten) den Sinn widerfahren lassen, unter dem es sich uns erschließt. —
In einer Zeit, da die zeitgenössische Philosophie des französischen Nachbarlandes als
irrational perhorresziert, aber nicht gekannt wurde (in den frühen 70er Jahren), fand
ich einen der Gadamerschen Hermeneutik vergleichbaren Irrtum im Neostruktura-
lismus der Lacan, Foucault, Deleuze oder Derrida. Einerseits schien er mir radikaler
und darum seine Widerlegung probanter als die Gadamers. Andererseits hatte ich
Sympathie für den semantischen Anarchismus dieser Franzosen, der — wenn auf die
innovativen, vom System der Tradition nicht antipizierbaren Leistungen subjektiver
Sinnschöpfung reduziert — vortrefflich mit Schleiermachers ursprünglicher Einsicht
und Anglistik studierte. Ich besuchte Seminare und Vorlesungen bei Sühnel, Sengle
und Wapnewski. Aber die entschiedendste Förderung erfuhr ich in den Lehrveran-
staltungen Arthur Henkels, der ein in seinem Romantik-Seminar vorgetragenes
Paper, das die gedankliche Grundoperation der Fichte-Studien des Novalis unüblich
genau vorstellte, tel quel in seine Zeitschrift Euphorien aufnahm. Es war die Keim-
zelle meiner Doktor-Dissertation über ‘Das Problem ‘Zeit’ in der deutschen Romantik’
- geschrieben in einer Wechselperspektive auf die philosophische Theorie der Har-
denberg, Schlegel, Solger (auch Schelling) und das poetische Gesamtwerk Ludwig
Tiecks, dessen Werke ich später im Deutschen Klassiker Verlag kritisch und reich
kommentiert mit herausgeben sollte. Daneben begab ich mich so viel als möglich in
die Lehrveranstaltungen Löwiths und Gadamers, nach seinem Ruf vor allem Hen-
richs, schließlich auch Tugendhats. Was ich dort lernte und erfuhr, beruhigte mich in
ganz kurzer Zeit über das gut Fundierte von Herrn Simons Rat. Ich lernte, dass Phi-
losophieren etwas anderes ist (oder sein kann) als das Auswerfen oder Inhalieren
begrifflicher Nebelkerzen — und der Frühromantik, selbst der Naturphilosophie und
ihrem grundrealistischen Impetus, bin ich auch treu geblieben.
Mein Heidelberger Studium vermittelte mir — einem zunächst begeisterten
Gadamerianer, dessen Position stark auch in Seminaren Henkels und seiner Assisten-
ten diskutiert wurde — eine Ahnung von der Basalität des Verstehens für alle bewuss-
ten Leistungen und Bedeutung generierenden Vollzüge. Der Universalitätsanspruch
schien die Hermeneutik für eine neue prima philosophia zu disponieren. Freilich stör-
te mich an Gadamers Hingabe an die Tradition die Vernachlässigung der Rolle des
Subjekts, das doch an sinnstiftenden Akten selbst dann beteiligt ist, wenn es die
Bedingungen nicht geschaffen hat, unter denen es seine unscheinbare Arbeit tut.
Selbst Bedeutungen konservieren heißt: an der Wirkungsgeschichte mitarbeiten. Es
lässt sich analytisch einsehen, dass Regeln — und Traditionen sind nichts als erstarrte
symbolische Ordnungen, also Regelwerke — die Weise nicht festlegen können (oder
nur um den Preis von regressiven Verwicklungen), wie situierte Symbol-
benutzerinnen) sie anwendend überschreiten. Hier begegnete ich erneut der
Frühromantik, die zwei nur auf den ersten Blick auseinander strebende Gedanken
zusammenführte: Der erste ist, dass das Subjekt die Bedingungen seiner Existenz
nicht in seiner Gewalt hat; der andere, dass Sinn keine Gegebenheit, sondern etwas
ist, dass unter gegebenen Bedingungen frei hervorgebracht wird. Damit ist die grund-
realistische Einsicht verbunden, dass wir über das Sein (im Sinne von Wirklich-
keit/Existenz) nicht verfügen, dass wir ihm aber (teilweise und in Interaktionen mit
anderen Subjekten) den Sinn widerfahren lassen, unter dem es sich uns erschließt. —
In einer Zeit, da die zeitgenössische Philosophie des französischen Nachbarlandes als
irrational perhorresziert, aber nicht gekannt wurde (in den frühen 70er Jahren), fand
ich einen der Gadamerschen Hermeneutik vergleichbaren Irrtum im Neostruktura-
lismus der Lacan, Foucault, Deleuze oder Derrida. Einerseits schien er mir radikaler
und darum seine Widerlegung probanter als die Gadamers. Andererseits hatte ich
Sympathie für den semantischen Anarchismus dieser Franzosen, der — wenn auf die
innovativen, vom System der Tradition nicht antipizierbaren Leistungen subjektiver
Sinnschöpfung reduziert — vortrefflich mit Schleiermachers ursprünglicher Einsicht